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Chemische Reaktionstechnik und ihre Rolle im Zuge der Transformation

Die Transformation der chemischen und pharmazeutischen Industrie passiert in den Reaktoren, Fermentern und Anlagen der Branche. Neuentwicklungen sind deshalb gefragt.

© AdobeStock/179268256/Ivan Traimak
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© AdobeStock/408311903/Sergey Ryzhov
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Die chemische Reaktionstechnik liegt an der Schnittstelle zwischen Chemie und Verfahrenstechnik. Wer vom Scale-up von Prozessen, von der Elektrifizierung oder vom Einsatz von Wasserstoff spricht, muss die Reaktionstechnik automatisch mitdenken: Sie bestimmt die Reaktionsbedingungen, regelt, was wann wo stattfindet, sorgt für Energieeffizienz und beeinflusst die Produkteigenschaften.

Drei Trends machen sich nach Ansicht von Experten derzeit in der Reaktionstechnik besonders bemerkbar:

– auf einem grundlegenden Verständnis von Reaktoren und Reaktionen basierende integrierte Produkt- und Prozessauslegung
– Prozessdiagnostik auf der Grundlage von Modellen, Operando-Untersuchungen und Prozessdaten
– Elektrifizierung chemischer Prozesse und die elektrochemische und chemische Energiespeicherung im großen Maßstab.

Neue diagnostische Methoden, ein besseres Prozessverständnis und die maßgeschneiderte Herstellung von Reaktoren und Komponenten zum Beispiel mit Hilfe von 3D-Druck machen es möglich, neues Equipment bereitzustellen, das die Anforderungen erfüllt, die aus den innovativen Prozessen entstehen.

Vom Labor zum industriellen Prozess

Immer häufiger wird dabei ein möglichst lückenloser Weg von der ersten Idee über den Laborreaktor bis zum großskaligen Prozess gesucht, um Engpässe beim Scale-up zu vermeiden und neue Verfahren schnell in die Anwendung zu bringen. Dabei helfen diverse diagnostische und Modellierungsmethoden. Schon im Labormaßstab sind die Reaktoren umfangreich instrumentiert, so dass eine genaue Kontrolle über die Reaktionsbedingungen wie Temperatur, Partialdrücke, Durchlaufzeiten etc. gegeben ist. Hinzu kommen leicht konfigurierbare Systeme zur Prozessautomatisierung, um die häufig parallelisiert installierten Reaktoren auch über längere Zeiträume automatisiert betreiben zu können. Die automatische Datenerfassung und -verarbeitung erleichtert die Interpretation der experimentellen Ergebnisse und bildet die Basis für die durchgängige Skalierung der Prozesse.

Je genauer die Stöchiometrie, Thermodynamik, Kinetik, Transportphänomene und relevante Sicherheitsdaten bekannt sind, desto besser lässt sich die Leistungsfähigkeit des Prozesses im industriellen Maßstab vorhersagen. Aus diesen Parametern lassen sich Reaktionszeiten und Strom- oder Wärmebedarf bzw. -erzeugung berechnen. Bezieht man die Transportprozesse mit ein, lässt sich der Reaktor so gestalten, dass die Reaktion sicher und mit hohen Ausbeuten durchgeführt werden kann. Dafür sind Miniplant-Studien unerlässlich, denn für die Prozessgestaltung und -analyse müssen auch Recycling-Ströme sowie der Betrieb unter Teillast und während des An- und Abfahrens der Reaktion berücksichtigt werden. Mit Hilfe eines guten Modells kann der Prozess dann direkt in die Produktionsanlage gebracht werden. In der Praxis wird allerdings häufig eine Pilotanlage zwischengeschaltet, um die Risiken beim Scale-up zu reduzieren.

Großer Prozess in kleinen Strukturen?

Doch nicht immer ist das Ziel ein möglichst großer Reaktor. Das zeigt ein weiterer wichtiger Forschungstrend, die Flow Chemistry. Sie eröffnet neue Wege für katalytische Reaktoren und Produktionstechniken. Nanopartikel und andere funktionale Materialien lassen sich in mikrofluidischen Reaktoren mit genau definierten Eigenschaften herstellen. Solche Reaktoren ermöglichen außerdem einen besseren Wärme- und Stofftransport. Mikrostrukturierte Reaktoren zeichnen sich durch innenliegende Strukturen von zehn bis zu mehreren Tausend Mikrometern aus. In solchen Strukturen lassen sich Flüssigkeiten innerhalb von Millisekunden erhitzen oder abkühlen.

Derzeit werden auch mikrostrukturierte Produktionsanlagen entwickelt, zum Beispiel, um mit erneuerbarer Energie synthetische Kohlenwasserstoffe oder hochwertige Power-to-X-Chemikalien herzustellen. Dank ihrer exzellenten Wärmeübertragung ermöglichen sie hohe Raum-Zeit-Ausbeuten bei hoher Selektivität, genau definierten Produkteigenschaften und langer Katalysator-Lebensdauer. Sind sie dazu modular aufgebaut und können schnell hoch- und heruntergefahren werden, sind sie für den dezentralen Einsatz am Ort der Energieerzeugung besonders interessant. Mehrere Unternehmen, darunter Ineratec, denken deshalb schon weiter: Sie wollen mikrostrukturierte Reaktoren nicht nur in der Entwicklung einsetzen, sondern zu kommerziellen Produktionsanlagen ausbauen.

Die Entwicklungen bei den mikrostrukturierten Reaktoren in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Intensivierung des Wärmeaustausches in Produktionsprozessen vor allem auf Einphasensysteme beschränkt, aber auch durch diese getrieben war. Im Prinzip können mikrostrukturierte Reaktoren auch für Mehrphasensysteme genutzt werden. Effekte wie die Oberflächenspannung, Benetzung oder ein uneinheitliches Fließverhalten in parallelen Kanälen erschweren die industrielle Anwendung von Mikroreaktoren.

Für die großskalige Produktion bedarf es eines integrierten Scale-up-Konzepts, um den notwendigen Durchfluss zu gewährleisten, während der Durchmesser der Kanäle nur minimal erweitert wird. So bleiben die Vorteile der Mikroreaktionstechnik wie die hohe Durchmischungsrate, der exzellente Wärmetransfer und die gezielte Prozesskontrolle erhalten. Der angestrebte Durchsatz kann beispielsweise durch die parallele Anbindung der Kanäle an ein Kanalbündel im Reaktor realisiert werden.

Shaoxing Eastlake Hi-Tech Co. Ltd. hat im Jahr 2016 in China den ersten großvolumigen auf Mikroreaktionstechnik basierenden Produktionsreaktor für die Produktion eines Inhaltsstoffs für landwirtschaftliche Anwendungen in Betrieb genommen. Inzwischen laufen drei dieser Reaktoren kontinuierlich mit einem Gesamtproduktionsvolumen von 30.000 t/a.

Zwischen Rührkessel und hybriden Verfahren

Die Entwicklung neuer Prozesse und die Entwicklung der Apparatetechnik für den Bau chemischer Reaktoren gehen Hand in Hand. Heute ist die Bandbreite an Apparaten und Reaktordesigns so groß wie das Produktportfolio chemischer Anlagen. Wegen seiner Flexibilität ist der Rührkessel immer noch der am weitesten verbreitete Reaktortyp. Doch das Spektrum an Technologien erstreckt sich vom klassischen Festbettreaktor mit Salzschmelze oder Verdampfungskühlung über Wärmetauschreaktoren, Blasensäulen, Jetreaktoren, Düsen- und Fließbettreaktoren bis zu Hochtemperaturreaktoren und komplexeren Apparaten wie mikrostrukturierten, elektrochemischen und Knetreaktoren sowie hybriden Systemen wie der reaktiven Destillation, Extraktion oder Gaswäschern.

Obwohl der Rührkessel eines der ältesten chemischen Reaktor-Designs ist, wird es immer noch stetig verbessert. So wurden für das „Innenleben“ emaillierter Rührkessel neue Lösungen wie flexible Strombrecher und andere Modifikationen entwickelt, die die Flexibilität und Energieeffizienz von Gas-Flüssig-Systemen trotz der sonstigen Einschränkungen emaillierter Systeme deutlich verbessert haben.

Um den Wärmeaustausch zu steigern, können Wärmetauscherplatten in den Rührkessel eingebracht werden, die größere Austauschflächen bieten als innenliegende Wärmetauschschlangen. So lassen sich exotherme Reaktionen, etwa Suspensionshydrierungen, besser kontrollieren. Salzbad-Reaktoren sind konventionelle Festbettreaktoren für exotherme, heterogen katalysierte Gasphasenreaktionen bei hohen Temperaturen. Sie werden beispielsweise bei partiellen Oxidationen eingesetzt, etwa in der Synthese von Acrylsäure.

Wenn die Ansprüche an den Wärmeaustausch oder die Temperaturkontrolle höher sind, können sogenannte Wärmetauschreaktoren eingesetzt werden. Auf Basis von Platten- oder Rohrbündel-Wärmetauschern ermöglichen sie sehr hohe Wärmeaustauschraten für Einphasensysteme.

Herausforderungen aus der Anwendung

Die neuen industriellen Prozesse, der Wechsel in der Energie- und Rohstoffbasis und das Streben nach Wirtschaftlichkeit werden die Reaktionstechnik auch in den kommenden Jahren vor Herausforderungen stellen. Gerade angesichts der Trends hin zu biobasierten und recycelten Rohstoffen, deren Zusammensetzung und physikalische Eigenschaften deutlich stärker variieren als die konventioneller petrochemischer Rohstoffe, und die typischerweise weit mehr Verunreinigungen enthalten, müssen die Reaktoren einerseits möglichst weitgehend optimiert sein, anderseits aber auch robust genug, um mit wechselnden Anforderungen zurechtzukommen.

So erfordern einige biotechnologische Prozesse große Reaktorvolumina von mehr als 1.000 m³ und gleichzeitig hohe spezifische Massetransferraten. Für ein konventionelles Lüftungssystem werden dann schnell Motorleistungen von mehr als 10 MW gebraucht, was mechanisch schwer umzusetzen ist. Die Entwicklung hybrider Begasungstechnologien und neue Wege für die Wärmeabführung könnten dazu beitragen, solche Verfahren schneller in die industrielle Anwendung zu bringen.

Bei der Produktion neuer Gen- und Zelltherapeutika dagegen, die stark individualisiert sind, sollten möglichst alle Reaktionsschritte auf kleinem Raum nahe am Point-of-Care stattfinden – die Pharmafabrik in einer kompakten, mobilen „Truhe“ wäre hier ein mögliches Ziel.

So vielfältig die Anwendungen, so innovativ die Lösungen, die Reaktionstechniker entwickeln und für die die Apparate- und Anlagenbauer die Ausrüstung bereitstellen. Für die kommenden Jahre ist angesichts der zahlreichen Neuentwicklungen noch viel zu erwarten.

Dieser ACHEMA-Trendbericht basiert auf der Roadmap Chemical Reaction Engineering, 3. Auflage 2023, https://dechema.de/Roadmap_Reaction_Engineering-path-123211,124930.html


Dokument:
2023 Roadmap „Chemical Reaction Engineering_ engl.

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