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Lieferverzögerungen und -Ausfälle: keine Chips, keine Medizintechnik – Sind Wachstum und Versorgung gefährdet?

© iStock, ake1150sb
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Egal ob Fahrrad, Auto, Hightech-Gerät und Co – der Kauf ist aktuell mit hohen Wartezeiten verbunden und Geduld ist gefragt. Denn Lieferungen verzögern sich, Produkte sind auf bestimmte Zeit nicht auf Lager oder können erst gar nicht geliefert werden. Sind die Lieferketten noch stabil genug, um die Wirtschaft zu unterstützen oder muss ein Umdenken her? „Die COVID-19 Pandemie hat die Verwundbarkeit globaler Lieferketten und des Welthandels offengelegt und gezeigt, dass lokale Engpässe aufgrund der weltweiten Vernetzung große Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Produkten haben“, so Prof. Dr. Alexander Sandkamp, Juniorprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Es werden also einige Problematiken sichtbar, die die globale Vernetzung mit sich bringt. Denn die Verspätung der Lieferung eines Fahrrads oder Küchengeräts ist ärgerlich – wenn aber Medizintechnikprodukte oder wichtige Komponenten hierfür verspätet geliefert werden oder gar entfallen, kann das gravierende Folgen mit sich ziehen. Wie kann das in den Griff bekommen werden? „Beschaffungsschwierigkeiten in den Lieferketten der Medizintechnik gefährden die Wertschöpfungskette der gesamten Branche. Der enge Austausch und das Netzwerken der Player ist deshalb essenziell. Die MedtecLIVE with T4M möchte und kann dafür die richtige Plattform sein und bringt alle Beteiligten an einen Tisch“, erklärt Christopher Boss, Executive Director Exhibitions der NürnbergMesse GmbH. Wurden nach zwei Jahren Pandemiegeschehen Wege gefunden, mit der Lieferketten-Problematik umzugehen? Wie sehen sie aus und welche Folgen hat eine mögliche Restrukturierung des Marktes?

Die Folgen verspäteter oder ausfallender Lieferungen für die Medizintechnik

Mit der COVID-19-Pandemie 2020 kam der Lockdown: Eine Region nach der anderen musste sämtliche Aktionen auf ein Minimum herunterfahren und so wurde auch die gesamte Industrie eingeschränkt, verlangsamt und schlief nahezu ein. Mit dem Lockdown in China wurde ein Land, das nicht nur die Elektrogeräteindustrie beliefert, sondern auch in der Medizintechnik eine große Rolle spielt, stillgelegt und die Lieferketten komplett unterbrochen. Wichtige Produkte, deren Verfügbarkeit gerade mit dem Aufkommen der Pandemie unabdingbar wurde, kamen mit großer Verspätung an oder fielen plötzlich gänzlich weg. Der steigende Bedarf nach wichtigen Medizinprodukten durch den COVID-19-Virus sorgte für ein großes Ungleichgewicht: große Nachfrage, kleines Angebot. Die Folgen: Verheerend. Schutzausrüstung oder Beatmungsgeräte waren nicht nur Mangelware für den normalen klinischen Alltag, sondern auch schlichtweg überlebenswichtig für die Versorgung der Intensiv-Patienten, von denen es durch das pandemische Vorgehen deutlich mehr gab. Eine Nicht-Verfügbarkeit von Produkten führt zu enormen Schwankungen im Gesundheitssystem, die nicht mehr abpufferbar sind. Doch ein Markt lässt sich nicht einfach umstrukturieren: „Aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen und Regelungsdichte bestehen oftmals sehr enge und langjährige Beziehungen zwischen den Medizintechnikherstellern und deren Zulieferern“, erklärt Mike Bähren, Leiter Volks- und Betriebswirtschaft und Marktforschung bei SPECTARIS, deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik. Ein kurzfristiger Produzentenwechsel ist nahezu unmöglich, denn so ein Prozess braucht Zeit. Durch das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage gibt es weitere Probleme, davon abgesehen, dass die Produkte fehlen: „Es entsteht ein Kampf um die Waren, die sowieso schon knapp sind. Dadurch kommt es zu Geschäftschancen für neue Lieferanten, die aufgrund des hohen Bedarfs und fehlender Lieferfähigkeit etablierter Liefernetzwerke kurzfristig Zugang in den Markt bekommen, wodurch es zu einer Qualitätsverminderung kommen kann“, sagt auch Toni Drescher, CEO des INC Invention Centers, Umsetzungsdienstleister von Innovationsprojekten. Qualitätsverminderung, die im Zweifel das Leben von Menschen gefährdet.

Strategien und Umgang mit Lieferkettenproblemen

Großer Bedarf trotz Engpässen – das ist nicht nur problematisch, sondern auch lebensentscheidend. Die Branche hat ihr Möglichstes gegeben, der Nachfrage gerecht zu werden und sucht alternative Strategien, um der Problematik Herr zu werden. Einige Unternehmen haben in dieser Zeit ihr Produktportfolio erweitert oder angepasst. Sie haben die fehlenden Produkte lokal produziert und somit versucht, die Engpässe auszugleichen. Das Gesundheitssystem konnte so durch eine schnelle Reaktion des Marktes unterstützt werden. Doch eine nachhaltige Veränderung wird das für die meisten Produzenten wohl eher nicht sein: „Wenn sich die Situation normalisiert, werden sich die meisten Unternehmen wieder auf ihre Kernkompetenzen zurückbesinnen, da auch die Nachfrage nach den vor allem in der Pandemie benötigten Produkten sinkt“, so Sandkamp. „Diese Umorientierung wird nur dann von Dauer sein, wenn ein konkreter Businessplan dahintersteht“, ergänzt Drescher. Auch Bähren sieht dabei keine dauerhafte Veränderung: „Viele kleine Stellhebel werden genutzt, um die Produktion am Laufen zu halten. Kurzfristige Produktanpassungen sind gerade in der Medizintechnik aufgrund der umfangreichen Bestimmungen immer eine Herausforderung und daher kein Generalschlüssel zur Lösung von Lieferkettenschwierigkeiten.“ Doch durch die neuen Player kommen auch neue Geschäftsmodelle und Ideen auf den Markt. Hiervon können die etablierten Unternehmen lernen und profitieren, damit Lieferprobleme und Engpässe in Zukunft vermieden werden können. „Da viele Bereiche im Gesundheitswesen budgetgesteuert und von einem hohen Kostendruck gekennzeichnet sind, brauchen Veränderungen oftmals viel Zeit“, so Bähren. Mit neuen Impulsen können die aufgedeckten Probleme schon heute gelöst werden und sorgen in der Zukunft nicht mehr für Schwierigkeiten.

Die Lösungen der Branche

Aktuell besteht noch immer die Einschränkung der Lieferketten und Verzögerungen und Ausfälle gehören weiterhin dazu. Kurzfristig lässt sich dabei wenig ändern. Damit es mittel- bis langfristig und auch bei künftigen Problemen nicht zu schwerwiegenden Einbußen in der Lieferfähigkeit von essenziellen Produkten kommt, müssen Vorkehrungen getroffen und die Strukturen resilienter werden. Das funktioniert laut Sandkamp über drei Faktoren: „Diversifizierung, Lagerhaltung und Recycling. Es ist wichtig, dass sich Unternehmen breit aufstellen. Sich nicht abhängig machen von einzelnen Lieferanten, sondern Produkte von verschiedenen Produzenten aus verschiedenen Ländern beziehen.“ Diese Entwicklung hat allerdings ihren Preis. „Das führt zwar zu höheren Kosten, dafür werden Lieferketten resilienter und krisenfester, was besonders für die Medizintechnikbranche essenziell ist. Das wird sicherlich auch im Rahmenprogramm und in den Diskussionen auf der MedtecLIVE with T4M im Mai 2022 ein Thema sein“, so Boss. Puffer in der Lagerung einzubauen und nicht mehr just-in-time zu ordern ist zwar kostenintensiv, aber auch lohnenswert und nachhaltig, da es später nicht zu eklatanten Engpässen bei für den Menschen lebensnotwendiger Produkte kommt. Dabei kann auch Recycling eine große Rolle einnehmen:„Bei der Verlagerung der Produktion nach Europa hört der Spaß auf, wenn Rohstoffe nicht vorhanden sind. Diese Abhängigkeiten können reduziert werden, indem man auf Recycling zurückgreift“, erklärt Sandkamp.

Neben diesen wichtigen Punkten sieht Toni Drescher notwendige Vorkehrungen vor allem auch in der Planung: „Wichtig ist eine Analyse der Systemrelevanz durchzuführen. Die Frage, die man sich stellen sollte, ist: Welche Produkte sind wirklich lebensnotwendig? Der Krisen-Notfallplan muss diesbezüglich überprüft und angepasst werden.“ Auch er plädiert für eine Multi-Supplier-Struktur für resiliente Lieferketten, die in einer Notlage schnell hochgefahren werden können und über Produktionslizenzen gesichert sein sollten. Der goldene Mittelweg zur Planung und Strukturierung der Lieferketten ist eine gesunde Mischung aus globalen und lokalen Lieferanten sowie das Verwenden von digitalen Lösungen, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz. „Da die Digitalisierung des Gesundheitswesens massiv an Fahrt gewonnen hat, spielen elektronische Komponenten auch bei Medizinprodukten eine immer wichtigere Rolle. Die aktuelle Knappheit in diesem Bereich trifft die Branche daher wie viele andere Industrien auch sehr massiv“, sagt Bähren.

Was aber keine Lösung sei, ist eine Abschottung, das Unabhängig machen von anderen Ländern, erklärt Sandkamp: „Das würde dazu führen, dass wir auf keine anderen Händler ausweichen können und die Kosten steigen. Außerdem ist die Produktion ineffizient, wenn die Spezialisten mit ihren Ressourcen in anderen Ländern sitzen“. Was es stattdessen bräuchte, ist für Drescher deutlich: „Man muss in die Fähigkeiten, in die Kompetenzen im Gesundheitssystem und Einkauf investieren, damit Lieferketten kostenorientiert, stabil und nachhaltig gestaltet werden können.“ Der Branche sei knallhart aufgezeigt worden, wo die Schwachstellen sind. Wie damit umgegangen werde, sei eine Frage der Zukunft, so Boss: „Auch dafür wollen wir gemeinsam bei der MedtecLIVE with T4M Lösungen finden“.

Welche Schlüsse zieht die Branche daraus

In den letzten zwei Jahren wurde mehr als deutlich, dass Lieferkettenprobleme und die damit einhergehenden gravierenden Folgen für die Medizintechnik vorgebeugt werden müssen. Dabei ist der weltweite Ausbruch eines Virus nur einer von vielen Gründen, weshalb es zu Engpässen in der Versorgung kommen kann. Auch das Feststecken eines Containerschiffs in einem Kanal, bei Naturkatastrophen oder Kriegen müssen die Lieferketten in der Medizintechnikbranche stabil und gesichert sein. Wird auf Grundlage dieser aktuellen Erfahrungen der Markt für die Zukunft umstrukturiert? „Leider nicht“, erklärt Drescher, „man kann bereits zwischen den pandemischen Wellen sehen, dass die meisten Unternehmen leider auf die gleichen Strukturen wie vor der Pandemie zurückgreifen.“ Diese Vorgehensweise kann am Ende des Tages, wie es in der Pandemie gesehen wurde, auch in der Zukunft Menschenleben riskieren. Sandkamp jedoch sieht im Markt ein vorsichtiges Umdenken: „Die Handelsaktivität ist wieder auf Vorkrisenniveau und einige Unternehmen haben bereits begonnen zu diversifizieren, sich also breiter aufzustellen. Allerdings haben wir keine Verlagerung der Produktion festgestellt.“ Bähren erklärt: „Vorhandene Beschaffungswege und die Bindung zwischen den Herstellern und ihren Bestandslieferanten stehen daher nicht auf dem Prüfstand, auch wenn vielleicht stärker als früher nach Zweit- oder Drittlieferanten Ausschau gehalten wird, um Beschaffungsrisiken zu minimieren.“

Die Entwicklung der weltweiten Gesamtsituation der Branche ist noch nicht voraussehbar und ungewiss. Schwankungen in der Verfügbarkeit von Produkten und Lieferengpässen werden noch heute im ersten Quartal des Jahres 2022 gesehen. Christopher Boss: „Wir müssen die gesammelten Erfahrungen teilen und auch auf der MedtecLIVE with T4M im persönlichen Austausch diskutieren, wie innovative Strukturen geschaffen werden, um den Markt gemeinsam zu stärken.“


MedtecLIVE GmbH
90471 Nürnberg
Deutschland

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