- BIM - Building Information Modeling
Rino Woyczyk
Abschied von der Abrissbirne: Labore als Materiallager
Die Life Sciences-Branche ist ressourcenintensiv. Aufgrund der hohen Standards in Forschung und Produktion sowie im Arbeits- und Gesundheitsschutz können viele Verbrauchsmaterialien nur einmal verwendet werden. Gleichzeitig wächst angesichts der Klimakrise das Bewusstsein für Ressourcenschonung. Mit das größte Potenzial für eine Einsparung von Rohstoffen liegt dabei nicht entlang der Wertschöpfungskette – sondern in den Labor-, Produktions- und Bürogebäuden.
Von allen Branchen hat die Bau- und Immobilienwirtschaft den größten Ressourcenhunger. Das Bauen verschlingt Milliarden Tonnen an Rohstoffen wie beispielsweise Kalk, Kies, Sand, Gips oder Stahl und Kupfer. Nach Abriss lassen sich zwar Baustoffe wie Beton in Teilen recyceln. Die meisten Bauprodukte und labortechnischen Ausstattungen landen aber nach wie vor im Abfall, obwohl in ihnen ein gigantisches Rohstofflager schlummert. Durch ein Umdenken – weg vom linearen Effizienzpfad hin zu einer Circular Economy – ließen sich diese Ressourcen weiterhin nutzen.
Labore als Materiallager
Cradle to Cradle heißt dieses Designprinzip, das einen potenziell unendlichen Kreislauf von Materialien ermöglicht. Die Konstruktionen und eingesetzten Produkte müssen dabei so gestaltet werden, dass sie entweder vollständig abbaubar in der Biosphäre sind oder – wie meist in der Baubranche – wieder als Nährstoff in technische Kreisläufe zurückgeführt werden können.
Voraussetzung ist dabei das richtige System- und Produktdesign. Deren chemische Beschaffenheit sollte so sein, dass später keine Schadstoffe in Rezyklate und Umwelt gelangen. Welche Bauprodukte und -materialien genau eingesetzt werden, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist und welchen Wert die eingesetzten Materialien haben, wird in einem sogenannten Building Circularity Passport festgehalten. Ähnlich dem Energieausweis enthält er alle relevanten Informationen zur Kreislauffähigkeit der verbauten Produkte. Verknüpft mit einem digitalen Zwilling des Gebäudes erhalten Eigentümer somit automatisch einen digitalen Plan für den späteren Rückbau.
Farbskalen zeigen Optimierungspotenziale
Dieser Circularity-Ausweis erfasst dabei nahezu jede Schicht, jede Tür und jeden Balken. Um diese Menge an Informationen beherrschbar zu machen, werden die Daten im Idealfall mit der digitalen Planungsmethode Building Information Modeling, kurz BIM, verknüpft. Erstmals geschieht das aktuell im Düsseldorfer Holzhybrid-Bürogebäude The Cradle: Alle Informationen werden digital erfasst, sodass der Building Circularity Passport entweder direkt aus dem BIM-Modell erstellt oder einfach in den digitalen Zwilling integriert werden kann. Sämtliche Materialien werden über eine ID mit den zugehörigen Bauteilinformationen verknüpft und lassen sich somit im BIM-Modell jederzeit lokalisieren. Außerdem helfen eindeutige Ampel-Farbskalen dabei, unterschiedliche Qualitäten zu identifizieren und zu bewerten. Ist zum Beispiel die einfache Trennbarkeit der Materialien noch nicht oder nicht ganz gewährleistet, erscheint der zugehörige Datensatz in Rot oder Gelb. Kreislauffähige Produkte erscheinen in Grün. Damit sehen alle Beteiligten sofort, welche Elemente bereits die Cradle to Cradle-Standards erfüllen und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Damit wird nicht nur der Planungs- und Bauprozess erleichtert: Wenn ein Labor- oder Produktionsgebäude am Ende seiner Nutzungszeit um- und rückgebaut wird, liegt automatisch ein digitaler Plan mit allen wichtigen Informationen vor.
Echte Kreislauffähigkeit rechnet sich
Investitionen in Gebäude nach dem Cradle to Cradle-Designprinzip mögen zunächst zwar höher ausfallen als bei konventionellen Gebäuden. Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet rechnen sich die anfänglichen überschaubaren Mehrkosten jedoch und machen Wertsteigerungen von bis zu zehn Prozent möglich. Denn das für die Baustoffe gebundene Kapital geht nicht länger verloren, sondern wird ähnlich einer mittel- bis langfristigen Wertanlage bei der Umnutzung oder im Rückbau wieder freigegeben. Die Immobilie wird damit zu einer Materialbank, deren Wert in Zeiten einer sich verschärfenden Rohstoffknappheit zudem noch kontinuierlich steigen könnte – und zwar überinflationär. Mit der Registrierung auf zentralen Online-Datenbanken wie Madaster sind die Gebäude zudem mit internationalen Rohstoffbörsen und Verkaufsplattformen vernetzt, so dass Eigentümer und Wirtschaftsprüfer auf einen Blick erkennen können, wie sich der verfügbare Rohstoff-Restwert eines Gebäudes entwickelt. Darüber hinaus lassen sich die Instandsetzungs-, Rückbau- und Entsorgungskosten auf ein Minimum reduzieren.
Nachhaltigkeit als Messlatte wirtschaftlichen Erfolgs
Neben diesen rein wirtschaftlichen Vorteilen geht es bei Cradle to Cradle vor allem auch um die Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft. Klimawandel, CO2-Anstieg und die zunehmende Umweltverschmutzung verlangen genau nach solchen innovativen Konzepten. Dekarbonisierung und Ressourcenschonung mittels Einsatzes erneuerbarer Energie und CO2-armen Materialien sowie Fokus auf Wiederverwendbarkeit und hohe Rezyklierbarkeit werden in der Bau- und Immobilienwirtschaft weiter an Bedeutung gewinnen. Gerade auch mit dem Green Deal und den damit verbundenen ESG-Anforderungen an die Branche entsteht sogar ein „must-have“. Um eine echte Kreislaufwirtschaft in der Branche zu etablieren, sind jedoch nicht nur Hersteller gefragt. Vielmehr muss sich das Mindset aller Beteiligten ändern, damit der Cradle to Cradle-Gedanke sein volles Potenzial entfalten kann.
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