Entscheidende Mutationen
Deutsche Forscher konnten die genauen strukturellen Unterschiede herausfinden, die ausschlaggebend dafür sind, ob ein Protein zu einem aktiven Enzym oder zu einem Gerüst für Eisenionen wird. Diese Erkenntnis, über die in der Fachzeitschrift Nature Communications berichtet wird, bietet einen tieferen Einblick in grundlegende zelluläre Prozesse wie die DNA-Synthese und den Eisenstoffwechsel.
Vier Mutationen in einer als Glutaredoxine bezeichneten Gruppe von Proteinen bestimmen, wie die Proteine in verschiedenen Bereichen wie Bakterien, Hefe, Pflanzen bis hin zum Menschen funktionieren, berichten Forscher in der Fachzeitschrift Nature Communications.
„Diese Proteine sind von zentraler Bedeutung für lebenswichtige Stoffwechselwege“, erklärte Professor Marcel Deponte, der als Biochemiker die Forschung an der Technischen Universität Kaiserslautern leitete. „Die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Proteine erweitern unser grundlegendes Verständnis darüber, wie das Leben funktioniert.“
Es gibt zwei Hauptklassen von Glutaredoxin-Proteinen. Glutaredoxine der Klasse I sind Enzyme, die wichtige Redoxreaktionen katalysieren, wie z. B. die Synthese der Ausgangsverbindungen der DNA. Glutaredoxine der Klasse II sind keine aktiven Katalysatoren, sondern dienen als Überträger und Sensoren für Eisen-Schwefel-Cluster, die eine wichtige Rolle im Eisenstoffwechsel spielen.
Während Biochemiker die beiden Klassen seit über 20 Jahren kennen, war es bisher unklar, welche strukturellen Unterschiede für die verschiedenen Funktionen verantwortlich sind. Marcel Deponte schloss sich mit Forschern der Universität des Saarlandes und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zusammen, um die Proteine im Reagenzglas, in Hefezellen und in computergestützten Modellierungen zu untersuchen.
Kernmagnetresonanz-Strukturen der Proteine zeigten vier Bereiche, die Unterschiede oder Mutationen zwischen den Aminosäuresequenzen der Klasse I und der Klasse II enthielten. Marcel Deponte und seine Mitarbeiter wollten genau wissen, wie viel jede Mutation dazu beiträgt, das Protein zu einem katalytisch aktiven Glutaredoxin der Klasse I oder zu einem inaktiven Glutaredoxin der Klasse II zu machen.
Um dies zu messen, verwendeten sie eine Kombination aus Bearbeitungs- und Verfolgungstechniken. Im ersten Schritt wurden die Proteine hergestellt und gereinigt, um deren Aktivität in einem Reagenzglas-Assay analysieren zu können. Normalerweise würde ein aktives Enzym der Klasse I eine Redoxreaktion katalysieren oder unterstützen, d. h. eine chemische Reaktion, bei der Elektronen zwischen Molekülen übertragen werden.
Das Team ersetzte systematisch Abschnitte im inaktiven Klasse-II-Protein durch entsprechende Abschnitte aus den aktiven Klasse-I-Proteinen und umgekehrt. Der auffälligste physikalische Unterschied zwischen den beiden Klassen ist eine in den inaktiven Proteinen der Klasse II verlängerte Schleife. Nachdem die Forscher die lange Schleife herausgeschnitten und durch die kürzere Schleife aus einem Protein der Klasse I ersetzt hatten, konnten sie eine leicht erhöhte katalytische Aktivität beobachten. In Kombination mit anderen Mutationen nahm die Aktivität des Klasse-II-Proteins jedoch progressiv zu. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die lange Schleife wie ein Ausschalter in der inaktiven Klasse II wirkt und dass die Einführung aller vier Mutationen aus Glutaredoxinen der Klasse I erforderlich war, um das inaktive Protein vollständig in ein aktives umzuwandeln. Schließlich gelang es ihnen, inaktive Proteine, deren Aufgabe normalerweise darin besteht, Eisen-Schwefel-Cluster zu erkennen oder zu übertragen, in aktive Enzyme, die Redoxreaktionen katalysieren, umzuwandeln und umgekehrt.
„Mutationen in allen vier Bereichen wirken zusammen, um das Protein entweder in einen aktiven Redox-Katalysator oder in ein eisenbindendes Protein zu verwandeln“, erläuterte Marcel Deponte.
Das Biochemie-Team aus dem Saarland unter der Leitung von Professor Bruce Morgan entwickelte daraufhin einen Assay, um die Relevanz der Mutationen in lebenden Hefezellen zu testen und bestätigte dabei das gleiche Ergebnismuster - alle vier Mutationen sind für den vollständigen Übergang zwischen den beiden Klassen erforderlich. Für diese Analysen verwendeten die Forscher eine grün fluoreszierende Sonde, die ihre Fluoreszenz ändert, sobald sie Redoxreaktionen wahrnimmt. Das veränderte Licht der fluoreszierenden Sonde signalisierte, in welchem Ausmaß eine Mutation das Protein in die Lage versetzte, Redoxreaktionen innerhalb der Zellen zu katalysieren.
In der Zwischenzeit führte die von Professor Holger Gohlke aus Düsseldorf geleitete Gruppe für Computational Pharmaceutical Chemistry and Molecular Bioinformatics Molekulardynamik-Simulationen mit Supercomputern durch, die die Ergebnisse ebenfalls untermauerten und ergänzten.
Zusammengenommen liefern die drei Untersuchungsreihen „ein wirklich überzeugendes Bild von der Funktionsweise dieser Proteine“, sagt Marcel Deponte. „Ermöglicht wurde dieses Ergebnis durch ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das diese Art der Zusammenarbeit fördert“, ergänzte er erklärend.
Die nächsten Schritte könnten darin bestehen, die Auswirkungen dieser Mutationen auf menschliche Zellen zu untersuchen oder einen ähnlichen Untersuchungsprozess auf andere Proteine anzuwenden. Dank der Fortschritte in der genetischen Sequenziertechnologie konnten Tausende von Proteinen entschlüsselt werden, wobei die Wissenschaftler bislang gerade einmal ansatzweise ein Verständnis darüber erlangt haben, was diese Proteine bewirken oder wie sie funktionieren.
Ursprüngliche Veröffentlichung:
M. Deponte et al., “Quantitative assessment of the determinant structural differences between redox-active and inactive glutaredoxins”, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-020-15441-3 (04/2020)
Technische Universität Kaiserslautern
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