- Gebäude & Räume
Rino Woyczyk
Umgang mit laufenden Bau- und Umbauprojekten in Zeiten nach Corona
Die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus führen dazu, dass Bau- und Umbauprojekte verlangsamt oder sogar gestoppt werden. In der Life-Sciences-Branche gehören tage- oder wochenweise Shutdown-Phasen zur Maintenance-Routine – die Erfahrung mit solchen Prozessen ist da.
Doch die regulären Maßnahmen sind eher mit einem „verlängerten Wochenende“ zu vergleichen als mit der aktuellen Phase. Im Moment ist es beispielweise nicht sicher, ob die Projektbeteiligten vor der Krise auch noch nach der Krise die gleichen sein werden. Oder ob die bestellten Materialien auch tatsächlich produziert und geliefert werden. Hinzu kommen weitere Entwicklungen, deren Reichweite und Auswirkungen in der Reinraum-Branche erst in den kommenden Wochen und Monaten zu bewerten sind, zum Beispiel die gesteigerte Kooperationsbereitschaft zwischen den Unternehmen in der Pharmabranche sowie der notwendige Umbau bzw. Ausbau von Produktionsflächen, um neuen Bedarfen gerecht zu werden.
Um nun professionell und zielorientiert in der minimalsten Zeit ein Bau- oder Umbauprojekt wieder hochzufahren, sollen Bauherren eine umfassende und übergreifende 360-Grad-Analyse durchführen und eine Vielzahl von Themen beleuchten.
Diese Maßnahmen gelten über alle Projektphasen hinweg
Eine hohe Priorität haben die Gefährdungsanalysen im Hinblick auf die zu erreichenden Projektziele. Für Bauherren der Reinraumindustrie ist vor allem die Überprüfung der Terminschienen, wozu auch die notwendigen Factory Acceptance Tests (FAT) einzelner Anlagen und der geplante Produktionsstart (SOP) gehören, sehr wichtig. Im Idealfall sind die Bereiche Construction (Bau), Commissioning (Inbetriebnahme) und Compliance (Qualitätsabnahme) bereits in der Planung eng miteinander verzahnt. Dazu müssen nun Methoden eines Frühwarnsystems implementiert werden, um entstehende Abweichungen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern.
Sollte der vereinbarte Terminplan nicht mehr gültig sein, müssen Abläufe möglicherweise neu definiert und strukturiert werden, damit der sichere und zügige Markteintritt des Produktes sichergestellt wird. Gegebenenfalls benötigt es dann sogenannte „Terminsprints/Termin-Bypässe“, um Meilensteine wieder einzuholen. Das kann beispielsweise durch einen 2-Schicht-Betrieb oder Samstagsarbeit erfolgen: Je nach Projektphase und -situation bieten sich hier unterschiedliche Lösungen an.
Bei den Kostenprognosen sollen Bauherren überprüfen, ob und welche Claims aufgrund zum Beispiel einer Nichtanlieferbarkeit von Materialien oder Personenzugangseinschränkungen auf den Firmencampus entstanden sind – und dabei nicht nur bereits erfolgte, sondern auch erwartete Claims in Betracht ziehen. Da solche Claim-Prozesse einen zusätzlichen Aufwand bedeuten und gleichzeitig signifikante Auswirkungen auf das Gesamtbudget eines Projekts haben können, sollen die Personalressourcen für ihre Bearbeitung geklärt werden. Weiter ist die Liquidität der Lieferanten für Prozessanlagen zu klären und zu lange Zahlungsziele zu verkürzen, damit die Herstellung der Zulieferkomponenten sichergestellt wird.
Projekt- und Vertragsstruktur anpassen
In Bezug auf die Projektorganisation stellt sich zunächst die Frage, ob alle Firmen, Planer und Berater immer noch zur Verfügung stehen. Im nächsten Schritt muss auch überprüft werden, ob alle Personen für das Projekt noch mitarbeiten können. Denn nur so können Bauherren notwendige Veränderungen in der Organisationsstruktur rechtzeitig erkennen und diese entsprechend anpassen.
Auch bei Verträgen muss analysiert werden, ob und welche Anpassungen der Verträge notwendig sind. Dabei werden Procurement und Projektleitung eng zusammenarbeiten, um die erforderlichen Änderungen effizient vorzubereiten. Sollte es außerdem Bonusregelungen geben, ist es wichtig diese auch vertraglich passend zu fixieren.
Re-Start der Baustelle ermöglichen
Nachdem die Aktivitäten auf der Baustelle verlangsamt oder gar unterbrochen waren, gilt es zu prüfen, ob die Materiallieferung noch intakt funktionieren kann. Erst wenn die Quellen von Verzögerungen und Ausfälle identifiziert sind, können auch Lösungen für deren Beseitigung gefunden werden.
In vielen Fällen ist es ratsam, die Baustelle aufgrund von neuen Anforderungen anzupassen. Eventuell haben sich beispielsweise bei Materiallagern die Bedarfe verändert: Die ordnungsgemäße Lagerung bzw. Zwischenlagerung von Materialien oder von bereits ausgeliefertem Prozessequipment muss trotzdem sichergestellt werden. Weitere neue Sicherheitsaspekte, wie zum Beispiel ein ausgeweiteter Werkschutz oder eine persönliche Gesundheitskontrolle an den Zugängen zum Areal oder zusätzliche persönliche Schutzmaßnahmen für das Baustellenpersonal sind zu berücksichtigen.
Die Besonderheit bei weit vorangeschrittenen Baustellen, die kurz vor Fertigstellung stehen und nahezu alle bau- und prozessrelevanten Arbeiten erledigt sind, ist eine gezielte Begleitung der „neuen Restzeit“. Sind alle relevanten Dokumente für IQ, OQ, PQ für den Bauherrn verfügbar? Welche Auswirkungen hatte der Ausbaustopp auf die angedachte Inbetriebnahmeplanung? Welche Tests müssen wiederholt werden? Hier spielt das eingesetzte Team sowie das Know-how jedes Einzelnen eine große Rolle und ist deshalb von hoher Bedeutung.
Moderne Methoden leisten Abhilfe
Gerade wenn es um die neue Organisation und Taktung eines Projekts geht, bietet der Einsatz von Methoden wie das Lean Construction Management einen erprobten Weg zum Erfolg. Die Vorgehensweise hilft sowohl in der Planung (Lean Design Management) als auch auf der Baustelle (Lean Site Management). Durch die Umsetzung der Lean-Prinzipien zielt der Ansatz darauf, die Verschwendung auf der Baustelle zu reduzieren, die Effizienz über die gesamte Wertschöpfungskette zu erhöhen und die Qualität zu verbessern. So können Kosten deutlich gesenkt und Arbeitsprozesse beschleunigt werden.
In der aktuellen Situation haben alle Entscheidungen immense Auswirkungen auf Termine und natürlich auch auf Kosten. Insbesondere in der Reinraumbranche haben eine ausgereifte und untereinander abgestimmte Planung von Bau und Prozessanlagen einen enormen Einfluss auf die Ergebnisse der Qualifizierung der Anlagen und Maschinen sowie die Validierung der Verfahren. Insofern gilt es, bevor Entscheidungen durch das Management getroffen werden, die obenstehenden Themen zügig und effizient mit höchstem Know-how zu bearbeiten. So können die Auswirkungen nachvollziehbar dargelegt werden, was dem Management eine fundierte Entscheidungsbasis liefert.
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