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Wissenslücke in der Chemie geschlossen

Interdisziplinarität brachte den Durchbruch

V.L.n.R. Frau Dr. Elisabeth Irran (Röntgenstrukturanalyse), Dr. Robert Müller (Fachgebiet Theoretische Chemie - Quantenchemie), Dr. Qian Wu, Prof. Dr. Martin Kaupp, Dr. Hendrik F. T. Klare, Prof. Dr. Martin Oestreich. (© TU Berlin/PR/Dominic Simon)
V.L.n.R. Frau Dr. Elisabeth Irran (Röntgenstrukturanalyse), Dr. Robert Müller (Fachgebiet Theoretische Chemie - Quantenchemie), Dr. Qian Wu, Prof. Dr. Martin Kaupp, Dr. Hendrik F. T. Klare, Prof. Dr. Martin Oestreich. (© TU Berlin/PR/Dominic Simon)

Nach manchen Erkenntnissen sucht man ewig und wenn sie dann gefunden sind, scheint alles ganz simpel. So ähnlich erging es auch der Arbeitsgruppe um Dr. Martin Oestreich, Professor für Organische Chemie – Synthese und Katalyse an der TU Berlin und seinen Mitarbeitern Dr. Hendrik Klare und Dr. Qian Wu. Ihr Forschungsprojekt „Die Charakterisierung von wasserstoffsubstituierten Silyliumionen in kondensierter Phase“ wurde jetzt in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht. Bei diesen Silyliumionen handelt es sich um schwer fassbare Substanzen, die zuvor, wenn überhaupt, nur in der Gasphase nachweisbar waren. „Ganz besonders freut uns, dass es sich bei der Veröffentlichung um eine reine TU Berlin-Publikation handelt“, so Martin Oestreich. „Die eigentliche Labortätigkeit hat die Humboldt-Stipendiatin Dr. Qian Wu aus meiner Arbeitsgruppe vorgenommen.“ In dem Fachgebiet von Dr. Martin Kaupp, Professor für Theoretische Chemie – Quantenchemie, wurde die Theorie dazu berechnet und Dr. Elisabeth Irran, Leiterin des Zentrums für Kristallstrukturbestimmung an der TU Berlin, hat die Molekülstrukturen vermessen.“

Seit weit über 100 Jahren weiß man, dass es sogenannte Carbeniumionen gibt. Das sind sehr reaktive, kationische (positiv geladene) Intermediate aus der Kohlenstoffchemie. Nach ihrer Entdeckung hat es aber Jahrzehnte gedauert, bis man jene herstellen und auch charakterisieren konnte, da deren sehr reaktive Natur das immer wieder verhinderte. George Olah wurde für die Charakterisierung dieser Carbeniumionen 1994 mit dem alleinigen Nobelpreis geehrt.

Im Periodensystem der Elemente sitzt in der sechsten Hauptgruppe unter dem Kohlenstoff das Silicium – genau wie Kohlenstoff ein wirtschaftlich und wissenschaftlich extrem wichtiges Element. Kurioserweise kannte man bis vor wenigen Jahren die zu den Carbeniumionen korrespondierenden Kationen des Siliciums gar nicht. Man konnte ihre Existenz theoretisch voraussagen und sie auch in der Gasphase halten, aber im Labor stabilisieren oder gar isolieren konnte man sie nicht, da es sich ebenfalls um äußerst reaktive Moleküle handelt.

Vor rund 25 Jahren ist es erstmals gelungen, sogenannte tertiäre Silyliumionen - also ein Siliciumkation mit drei Kohlenstoffsubstituenten - nachzuweisen. Dr. Qian Wu ist es jetzt geglückt, alle drei weiteren Abkömmlinge in Lösung und in fester Form herzustellen. Also Silyliumionen, die entweder zwei oder einen Kohlenstoffsubstituenten oder sogar nur Wasserstoffatome tragen. „Damit hat sie für Silicium den gleichen Schritt vollzogen, wie vor Jahrzehnten George Olah für die Carbeniumionen, und damit eine große Wissenslücke in der Hauptgruppenchemie und der Chemie ganz allgemein geschlossen“, beschreibt Martin Oestreich die Bedeutung der Arbeit.

Mag diese Entdeckung für den Laien auch eher abstrakt klingen, so geht es für die Chemiker hier um Grundsatzfragen aus der Chemie: „Die Reaktivität dieser Intermediate ist derart hoch, dass sie mit jedem Stoff in der Umgebung reagieren. Ihre Isolierung ist daher alles andere als selbstverständlich“, erläutert Hendrik Klare. Daher geht es den Wissenschaftlern hier zunächst auch weniger um die Frage der Anwendung. Es wurde schlichtweg Lehrbuchwissen generiert. „Anwendungen standen nicht im Mittelpunkt unserer Arbeit, aber natürlich besteht jetzt erstmals die Möglichkeit, diese neuen Moleküle systematisch zu untersuchen. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Anwendung, insbesondere in der homogenen Katalyse“, so Hendrik Klare. „Eine denkbare Option: Sehr reaktionsträge Stoffe zu aktivieren, beispielsweise Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs). Es ist durchaus vorstellbar, mit diesen Silyliumionen das Fluor in diesen bislang sehr schwierig abbaubaren Substanzen gegen Wasserstoff auszutauschen“, so Martin Oestreich.


Technische Universität Berlin
10587 Berlin
Germany


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