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Schrumpfende Losgrößen und riesige Datenmengen als Chancen für Pharmabranche

Kleine Losgrößen, zuverlässiges Containment. Diese Wünsche der Pharmaproduzenten sind nicht neu, werden aber angesichts fortschreitender Tendenzen zu personalisierter Medizin und hochwirksamen Arzneimittel immer dringlicher. Etliche ACHEMA-Aussteller in den „Pharma- und Verpackungshallen“ 1 und 3 fokussieren darauf und überzeugen mit effizienten Lösungen, die den Trend zur personalisierten Medizin unterstützen. Einige Unternehmen positionieren sich darüber hinaus als Wegbereiter in die Industrie 4.0, sei es mit Dienstleistungen, mit Software oder schlichtweg mit einem Selbstverständnis, das Anlagenprojektierer und Maschinenbauer ein Stück weit auch zu IT-Integratoren macht.

Der Pharmamarkt wächst nur noch langsam. Weltweit stieg der Umsatz laut BPI zuletzt um ca. 3,6 Prozent (2016 gegenüber 2015). Von einem Umsatzplus von bis zu zehn Prozent, das für die 1990er Jahre typisch war, sind die meisten Arzneimittelhersteller weit entfernt. Wie Dieter Weinand, Pharmachef von Bayer, als Hauptredner auf der Handelsblatt-Pharmatagung in Berlin im Februar 2018 verdeutlichte, ist es für die Branche notwendig „ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen und neue Paradigmen anzuerkennen.“ Die Konkurrenz, oft fokussiert auf Generika oder Biosimilars, wächst und der Preisdruck mit ihr. Patentgeschützte Blockbuster alter Tage werden mehr und mehr abgelöst von Medikamenten für individuelle Therapien.

Diese Trends wirken sich auf die erforderliche Anlagen- und Maschinentechnik aus. Individuellere Medikation, insbesondere für schwere Krankheiten wie Krebs, geht häufig Hand in Hand mit biotechnologisch erzeugten, hochwirksamen Arzneimitteln – und hohen Anforderungen an Abfüll- und Verpackungslösungen. Der zweite Trend, der wachsende Kostendruck, dem vor allem Medikamente für den nach wie vor bestehenden Massenmarkt unterliegen, wird mit Lösungen, die die Produktion noch kosteneffizienter machen, beantwortet. Die Hersteller von Verpackungslösungen gehen hier seit Jahren den bewährten Weg: mehr Automation, weniger Benutzereingriffe. Ein weiterer, bei vielen Anwendern noch nicht ausgeschöpfter Weg ist die deutliche Erhöhung der Verfügbarkeit, idealerweise der Gesamtanlageneffektivität (OEE). Das heißt u. a. weniger Wartung – und wenn, dann geplante, im Idealfall mit Hilfe innovativer, vorhersagbarer Instandhaltungsstrategien. In der Zukunft werden die Möglichkeiten der Digitalisierung dabei unterstützen, Produktionen auch während ihres Lebenszyklus effizienter zu machen, sei es im Hinblick auf den Energieverbrauch, durch voraussagende Instandhaltung oder durch Selbstadaption bei Prozessabweichung, ohne Eingriffe der Bedienmannschaft.

Natürlich müssen auch die bisherigen Herausforderungen beantwortet werden. Fälschungssicherheit sowie Serialisierung und Rückverfolgbarkeit gehören zu den nach wie vor bedeutenden Herausforderungen, denen sich die Pharmaindustrie im Rahmen der Verpackung ihrer Produkte stellen muss. „Bei der Serialisierung spielen sowohl die lokale als auch die internationale Gesetzgebung eine zentrale Rolle“, sagt Davide Brancaleoni, Packaging Segment Leader EMEA bei Rockwell Automation. Sowohl integrierte als auch offene Serialisierungslösungen seien gefragt. Zudem bringe die personalisierte Medizin neue Herausforderungen: „Jedes einzelne Produkt muss nicht nur passend abgefüllt und verpackt werden, sondern auch mit dem richtigen Datensatz in Bezug auf seine Batch- und Fertigungshistorie verbunden werden.“

Lebende Zellen in Mini-Chargen

Personalisierte Medizin heißt nicht zwingend Batchgröße eins. „Eine Behandlungsart für alle“ – dieses Prinzip wird jedoch wohl in den nächsten Jahrzehnten immer weniger Bedeutung haben. Kleine bis sehr kleine Losgrößen eines bestimmten Arzneimittels in einer bestimmten Dosis sind heute schon für bestimmte Behandlungskonzepte notwendig - im Zusammenspiel mit moderner Diagnostik einschließlich Gendiagnostik. Die „stratifizierte Medizin“, bei der beispielsweise Tumorpatienten in Subgruppen eingeteilt werden, welchen ein bestimmter Wirkstoff hilft  oder eben nicht, gehört dazu. Dies führt zu patientenindividuellen Therapien, bei welchen der Patient das für ihn am besten geeignete Medikament in der für ihn adäquaten Dosierung erhält. Häufig handelt es sich um Arzneimittel auf Basis lebender Zellen. All das setzt hohe Maßstäbe an die Abfüllung. Es gilt, das geeignete Verpackungsmittel, etwa Vials oder Spritzen aus Kunststoff oder Glas auszuwählen, das sowohl bei der Lagerung (u. U. in flüssigem Stickstoff) als auch bei der Handhabung und Verabreichung nicht zu Problemen führt. Die sogenannten ATMPs (Advanced Therapy Medicinal Products), die Arzneimittel für neuartige Therapien, dürfen zudem bei der Abfüllung in der Regel keinen großen Scherkräften unterworfen werden.

Die Prozesse dafür seien alle am Markt verfügbar, meint Dirk Bauernfeind, Produktmanager bei der Romaco Group: „Wir können die Ansprüche hinsichtlich Formatflexibilität und Sonderverpackungsgrößen schon jetzt erfüllen. Für einen unserer Referenzkunden in Nordirland haben wir bereits eine innovative Verpackungslösung für Orphan Drugs entwickelt.“ Dabei sei eine besondere Anforderung, die Beigabe eines Trockenmittels in die einzelnen Blisternäpfe, erfüllt worden. Für viele Pharmahersteller sind flexible Abfüll- und Verpackungslösungen, wie sie Bosch mit seiner MHD-Anlage für die aseptische Abfüllung von Biopharmazeutika anbietet, erste Wahl. Mit Hilfe von Robotertechnik im Isolator können hier unterschiedliche Packmittel befüllt werden. Den Trend zu kleineren und mittleren Chargengrößen erfüllt Romaco mit einer Mittelleistungslinie für die Primär-, Sekundär und Tertiärverpackung von pharmazeutischen Feststoffen. „Die Anlage ist nicht nur besonders flexibel, sondern darüber hinaus sehr kompakt und robust“, erläutert Bauernfeind. Er meint, die gestiegenen Erwartungen an Track & Trace erforderten Verpackungskonzepte, die bei gleicher Kapazität weniger Raum benötigen.

Gerhard Breu, der als Generalbevollmächtiger an der Spitze des Optima-Geschäftsbereichs Pharma steht, kündigt Lösungen auf Basis von Robotertechnik an, um den Trend zur Flexibilisierung zu entsprechen. Er rechnet damit, dass „sich die Lebenszyklen der Produkte viel dynamischer entwickeln und häufig neue Produktvarianten und Behältnisse hinzukommen“ und will künftig auf äußerst formatflexible Anlagen für sehr kleine Losgrößen setzen Eine geeignete Lösung stellt Optima auf der ACHEMA mit dem Multiuse-Konzept zur variablen Befüllung von Vials, Spritzen und Karpulen vor. Die Anlagen basieren auf einem verstellbaren Transportsystem, das ohne Formatteile auskommt. Die Hersteller teurer Wirkstoffe, wie sie ATMPs darstellen, werden zudem Lösungen begrüßen, die Produktverluste minimieren: etwa kurze Schlauchleitungen, eine 100-Prozent-In-Prozess-Kontrolle sowie die Möglichkeit, auf Anforderung nachzudosieren.

Auch für Andreas Häußner, Marketingdirektor der Rommelag Unternehmensgruppe, steht im Mittelpunkt, dem Kunden die nötige Flexibilität und Prozesssicherheit zu bieten. Bei der Suche nach flexiblen Verpackungslösungen, die auch Kleinstmengen und Kleinstchargen kostengünstig und nachverfolgbar produzieren können, können ACHEMA-Besucher bei Rommelag fündig werden. Häußner verweist auf ein „Disposable Filling System, mit dem wir bereits Versuche in Richtung personalisierte Medizin gestartet haben.“

Auf die weltweit sehr unterschiedliche Bedeutung von Industrie 4.0 verweist Bauernfeind. Während das Thema in den Industrieländern mit hohem Lohnniveau bereits in naher Zukunft greifbar werde, sei es in den Emerging Markets erst mittel- bis längerfristig relevant. „Lieferanten von Verpackungsmaschinen müssen sich auf verschiedene Szenarien einstellen“, sagt Bauernfeind und fügt hinzu: „Nur so können wir allen Kunden bedarfsgerechte Lösungen anbieten.“

Geringer Validierungsaufwand dank Single-Use-Containment

Untrennbar zum Thema Fill & Finish gehören Containment-Systeme, die den Bediener vor dem hochwirksamen Produkt und umgekehrt schützen. Zusätzlich vor Kreuzkontamination vorbeugen kann man mit Single-Use-Konzepten. Schon auf der ACHEMA 2015 waren Pilotlösungen zu sehen, die Containment und Single-Use-Konzepte miteinander verquickten. 2018 zeigen weitere Anbieter derartige Lösungen, die inzwischen als ausgereift gelten können. Doch „es gilt, durch eine enge Kooperation mit den Pharmazeuten Lösungen zu entwickeln, die auf deren jeweilige Bedürfnisse zugeschnitten sind, ohne dabei kostenintensives Over-Engineering zu betreiben“, warnt Bauernfeind, der auch das Conti-Manufacturing nennt, wenn es um den Schutz der Maschinenführer vor hochpotenten Substanzen geht. Auch bei der Risikoanalyse sollten Pharmamaschinenbauer ihren Kunden beratend zur Seite stehen.

Ungewöhnlich wirkt das Flecotec-System von Rommelag, bei dem sämtliche Prozesse des Beprobens, Verwiegens, Abfüllens und Umfüllens wie gewohnt beibehalten werden können. Sie werden buchstäblich verpackt – mit Hilfe einer Single-Use-Containment-Lösung. Das gesamte System wird anschließend entsorgt. „Da wir den vorhandenen Prozess intelligent verpacken, besteht keine Notwendigkeit der erneuten Validierung“, erläutert Häußner.

Einen anderen Weg geht Bosch – mit waschbarem Containment. Es wird in einer Kapselfüllmaschine für Kleinchargen genutzt. Sie ermöglicht dem Nutzer schnelle Produktwechsel, wobei der Hersteller kurze Reinigungszeiten und einen geringen Wasserverbrauch verspricht. Hochpotente feste Darreichungsformen lassen sich so gut handhaben. Dem Trend zu HPAPIs (High Potency Active Pharmaceutical Ingredients), denen einige Marktforscher zweistellige jährliche Wachstumsraten in den kommenden fünf Jahren prognostizieren, entspricht auch Fette Compacting mit zuverlässigen Containment-Lösungen und dem „Containment Guard“, einem Qualitätszertifikat auf Grundlage eines Testverfahrens nach SMEPAC-Richtlinie (Standardized Measurement for Equipment Particulate Airborne Concentrations). Es kennzeichnet die Rückhalteleistung von Containment-Tablettiersystemen. Deren Einrichtung soll damit für den Pharmaproduzenten weniger aufwendig werden. Er kann künftig das erforderliche Containment-System sicherer auswählen, was das Risiko einer zu teuren oder nicht hinreichenden Lösung verringert.

Aber auch die Standard-Isolatortechnik birgt Innovationspotenzial. So wird das Unternehmen Metall+Plastic, Teil der Optima-Gruppe, einen Sterilitätstestisolator („STISO“) zeigen, den es erstmals auf der Interphex Mitte April 2018 vorstellt. Der Stiso ist nicht nur sehr anwenderfreundlich, sondern erreicht auch äußerst kurze Zykluszeiten in der Dekontamination. Dafür sorgen eine katalytische Belüftung und ein spezielles Dekontaminationssystem, das Wasserstoffperoxid besonders schnell und in wesentlich kleineren Tröpfchen als klassische Vernebelungssysteme verteilt.

Individuelle Dienstleistungen bis hin zu Industrie 4.0

Gerhard Breu von Optima weist darauf hin, dass kundenspezifische Lösungen das A und O für den Pharmabereich sind. Schon im vergangenen Jahr hat die Gruppe einen übergreifenden Ansatz für Dienstleistungen in jeder Phase des Anlagen-Lebenszyklus vorgestellt, der auch im Pharma-Sektor greift. Factory Acceptance Test mit Simulationsunterstützung und der Start-up-Support, die Re-Qualifizierung nach Upgrades, Kalibrierdienstleistungen bis hin zu umfangreichen Maintenance-Services sind nur einige Beispiele aus dem „Total-Care“-Portfolio. Das Ziel Optimas lässt sich ebenso zusammenfassen wie das der After-Sales-Leistungen von Bosch. „Über den gesamten Maschinenlebenszyklus hinweg unterstützen wir unsere Kunden bei der Steigerung der Anlageneffektivität (OEE) und der Redu-zierung von Stillstandszeiten“, versichert Uwe Harbauer, Leiter des Bosch-Produktbereichs Pharma.

Damit einher geht eine weitgehende Transparenz innerhalb der Fertigung, wie sie beispielsweise Bosch in seinen Industrie-4.0-Lösungen umsetzen will. Kunden sollen über Live-Informationen künftig alle nötigen Daten zur Überwachung von Maschinenzuständen oder Prozessparametern erhalten. Browserbasierte Software erfasst, speichert und visualisiert Maschinendaten und hilft bei Analysen zur Verbesserung der Anlagenverfügbarkeit.

Rockwell-Packaging-Spezialist Brancaleoni erinnert an die Grundlagen für die Nutzung aller relevanten Daten: „Es ist wichtig, dass Unternehmen offene, konvergente IT-Infrastrukturen aufbauen, die die Systeme miteinander verbinden und Informationen weiterleiten.“ Diverse Anbieter von Automatisierungstechnik unterstützen dies inzwischen, im Idealfall mit branchenerprobten Lösungen. Rockwell Automation etwa deckt die Anforderungen mit Modulen aus dem FactoryTalk-Portfolio ab, etwa mit Pharmasuite MES und Factory Talk Historian, mit denen sich Daten protokollieren sowie Trends und Veränderungen aufzeigen lassen. Der richtige Einsatz der Daten bilde das Rückgrat der Track-and-Trace-Lösungen, meint Brancaleoni: „Insofern spielt Industrie 4.0 und Digitalisierung eine sehr wichtige Rolle für die Pharmaproduktion.“ Rockwell-Lösungen verbinden dazu die Produktionstechnologie mit der IT und den Enterprise-Systemen.

Aber auch Hersteller von Abfüll- und Verpackungslösungen müssen ihre Kompetenz in Sachen Datenvernetzung, Data Integrity und Cybersecurity unter Beweis stellen. Insbesondere, wenn es um Abfüll- und Verpackungslinien für Pharma-Großkonzerne geht. Dort gilt es immer häufiger, die Anlagen in die Gesamt-IT der Konzerne, etwa in deren MES- und Historian-Systeme, einzubinden. Erfolgversprechende Ansätze der Integration gibt es, ja sogar erste Projekte, die den Weg zu Big Data, Data Analytics und Industrie 4.0 ebnen. Breu von Optima bleibt vage, weiß aber: „Ohne eine integrierte Digitalisierung wird es nicht gehen. Die Produktionsprozesse der Zukunft können nur mit der Digitalisierung gemanagt werden.“ Die Lösungen, die die Hersteller von Pharma-Abfüll- und Verpackungsanlagen dazu bieten, können sie zwar auf der ACHEMA nicht zeigen. Sie danach zu fragen, sollte jedoch nicht versäumen, wer als Pharmaproduzent bereit ist, neue Paradigmen anzuerkennen und sein Geschäftsmodell auf die Industrie 4.0 auszurichten.


Weitere Informationen


DECHEMA Ausstellungs-GmbH
60486 Frankfurt am Main
Deutschland


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