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Reine Industrie 4.0: Wohlklingende Zukunftsmusik

Das Fraunhofer-Institut IPA treibt die Digitalisierung im Reinraum voran




Beim 2. Spitzentreffen „Industrie 4.0 Live“ im Juli 2017 präsentierte das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA eine Reihe angewandter Lösungen für die Digitalisierung der Produktion. Ein Teil der gezeigten Use Cases betrifft sehr konkret das Anwendungsfeld Reinraum. Dies veranlasste die Redaktion von reinraum online dazu, im Einzelgespräch nachzufassen und das Thema sowie die Anwendungen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Industrie 4.0, Digitalisierung, digitale Transformation, Internet of Things, Smart Products, Smart Services, IoT, Virtual Production – an Schlagworten für die jüngsten Entwicklungen in der Welt der Produktion mangelt es wahrlich nicht. Bei der Begriffsvielfalt fragt man sich allerdings: Wissen eigentlich alle, die diese schönen Worte im Munde führen, auch tatsächlich, was sie bedeuten? Es gibt Anlass, dies zu bezweifeln, denn selbst unter Fachleuten und ausgewiesenen Experten bestehen große Meinungsunterschiede und begriffliche Divergenzen.

Und nachdem das Fraunhofer-Institut IPA nun auch noch Begriffe wie Reine Industrie 4.0, Sauberkeitsgerechtes Produzieren und Reinheitsspezifische Automatisierungssysteme in die Szenerie geworfen hat, wollten wir von den Stuttgarter Wissenschaftlern wissen, was sie denn genau darunter verstehen. Das wiederum sei, so erklärte uns Dr. Udo Gommel, Leiter der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion, nicht mal eben in zwei Sätzen zu erklären. Auch der zuständige Projektleiter, Dr. Tim Giesen, sieht die Begriffsvielfalt mehr als Faktor der Verwirrung denn als nützliche Differenzierung.

Begriffswirrwarr - ein Klärungsversuch

Also versuchen wir uns hier zunächst an einer Begriffsklärung, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit oder gar absolute Gültigkeit, versteht sich. Denn, wie gesagt, in diesem Feld versteht sowieso jeder etwas anderes unter den Begriffen und es sprießen täglich neue Worthülsen empor.

Industrie 4.0, häufig abgekürzt als I4.0, ist derzeit extrem en vogue. Dabei ist der Begriff nicht nur sehr weitläufig, sondern inzwischen bereits recht abgegriffen und wird zunehmend schlagwortartig verwendet, um die Tendenz zur Digitalisierung von Produktionsprozessen zu umreißen und das Bild einer Fabrik der Zukunft zu entwerfen. Was darunter genau zu verstehen ist, bleibt jedoch meist im Dunklen. Als Konzept steht Industrie 4.0 für die vierte industrielle Revolution, mit der nach der Mechanisierung (Industrie 1.0), der Massenproduktion (Industrie 2.0) und der Automatisierung (Industrie 3.0) nun das Internet der Dinge und Dienste in die Produktion Einzug hält. Erste Schritte dorthin sind bereits gemacht und die Möglichkeiten erscheinen grenzenlos. Industrie 4.0 betrifft sehr viele Wertschöpfungsebenen und birgt nach einhelliger Meinung der Experten enorme Potenziale zur Produktivitätssteigerung einerseits und Kostenreduzierung andererseits. Bis zu 30 Prozent sollen das sein, was große Wachstumschancen und Wettbewerbsvorteile bringen werde, meinen die Auguren.

Nachdem bereits in der Vergangenheit Maschinenbau und Elektrotechnik in der Mechatronik eine Schnittmenge gefunden haben, wird nun bei Industrie 4.0 auch noch die dritte Disziplin, die Informations- und Kommunikationstechnologie, integriert und die Bereiche werden stark miteinander vernetzt. So entstehen Fabriken, in denen intelligente Maschinen Informationen austauschen und sich selbstständig organisieren. Werkstücke sind in der Fabrik der Zukunft mit den Maschinen vernetzt und steuern so die Produktion. Dadurch wird die Fertigung flexibler und effizienter, zumal die Maschinen direkt mit den IT-Systemen des Unternehmens kommunizieren und so ein durchgängiger Informationsfluss entsteht. Aus Massenbauteilen werden zunehmend Unikate, die dem Trend zur Personalisierung von Produkten entsprechen. Jedes Bauteil, jedes Produkt, erhält in der digitalen Produktionswelt eine datentechnische „Identität“, mit der es selbstständig durch die intelligente Fabrik navigiert und jederzeit lokalisiert und angesteuert werden kann.

Das Internet der Dinge, oft auch IoT oder Internet of Things genannt, beschreibt die Welt, die entsteht, wenn die verwendeten Geräte, Gegenstände und Produkte mit Mikrochips bzw. Sensoren ausgestattet werden und selbsttätig Informationen z.B. über Nutzung oder Füllstand an die Informationsverarbeitungssysteme senden. Diese Geräte und Gegenstände werden als Smart Objects bezeichnet.

Smart Objects führen Daten über ihre eigenen Betriebs- und Produktionszustände oder aber auch über ihren aktuellen Aufenthaltsort mit sich, die je nach Einsatzzweck gesammelt, aktualisiert und ausgewertet werden. So können Maschinen eigenständig Informationen über Nutzung, Füllstände, anstehende Wartung etc. weitergeben oder bereits während der Produktion Informationen über die noch erforderlichen Produktionsschritte (Stichwort  kundenindividuelle Fertigung) geben.
Ebenso wie Smart Objects wird es zunehmend auch Smart Services geben. Dies bedeutet, dass intelligente Produkte nach Auslieferung an den Kunden während ihrer Nutzungsdauer mit dem Internet verbunden sind und riesige Datenmengen über den eigenen Betriebs- und Produktzustand in einer Datencloud abspeichern. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, dem Kunden individuelle datenbasierte Dienstleistungen anzubieten und dies wiederum lässt zahlreiche neue Geschäftsmodelle entstehen. 

Zur Fabrik der Zukunft gehört auch die Möglichkeit, alle Maschinen eines Unternehmens nicht nur untereinander, sondern auch mit den Systemen von Zulieferern und Kunden zu vernetzen. Dadurch kann auf Abweichungen und Ausfälle optimal und in Echtzeit reagiert werden. Der Mensch spielt aber auch in der Smart Factory, in der intelligenten Fabrik, eine zentrale Rolle. Als „Augmented Operator“ steuert und überwacht er die Fertigungsprozesse des Produktionsnetzwerks mit Hilfe von IT-basierten Assistenzsystemen wie etwa einer Datenbrille.

Naturgemäß betreffen all diese Entwicklungen auch und zunehmend den Bereich Reinraum, da schon heute und verstärkt in Zukunft immer mehr Produktionsprozesse unter Reinraumbedingungen oder zumindest im Sauberraum stattfinden müssen. Daher hat das Fraunhofer-Institut IPA im Rahmen der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion eine neue Organisationseinheit mit dem Namen „Reinheitsspezifische Automatisierungssysteme“ geschaffen, die interdisziplinär und inhaltlich heterogen aufgestellt ist und Anwendungslösungen für „Sauberkeitsgerechtes Produzieren“ entwickelt. Hier sind Vorlaufprojekte für Industrie 4.0 angesiedelt, die durch eine intensive Verbindung von Wissenschaft und Praxis einerseits und durch die Integration von Hardware und Software andererseits gekennzeichnet sind und die Zukunft mit gestalten.

Was bedeutet Industrie 4.0 im Reinraum?

Die Wissenschaftler am IPA sind sich sicher, dass die Entwicklung hin zur „Clean Intelligence“, also der Weg zum Intelligenten Reinraum der Zukunft, in drei Stufen erfolgen wird. Projektleiter Dr. Tim Giesen erläutert hierzu: „Aktuell befinden wir uns noch auf der untersten Stufe dieser Pyramide. Hier geht es um zunehmende Transparenz, die durch den Zugriff auf Daten im Reinraum, durch die automatisierte Dokumentation und Sammlung von Daten im Reinraum und durch automatisiertes Reporting auf Shopfloor-Ebene entsteht.“ Auf der zweiten Entwicklungsstufe wird es dann um die sogenannte Interconnection gehen, also um die echtzeitfähige Kommunikation der Informations- und Datenströme mittels cyber-physichen Systemen während des Produktionsbetriebes.  Auf der dritten Stufe, der sogenannten Clean Intelligence, wird dann in der Zukunft die vollständige Verfügbarkeit aller Prozesse als Services erreicht, wobei enorme Datenmengen (Big Data) erzeugt werden und mit Mustererkennung gearbeitet wird, um die Gesamtheit der Prozesse zu managen und die Abläufe zu koordinieren.

Mit Blick auf die am IPA in der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion entwickelten Anwendungsbeispiele für den Reinraum 4.0 erklärt Giesen ferner: „Die neuen Applikationen helfen dabei, den eigenen Reinraum im Sinne von Transparenz als Produktionsort besser zu kennen und so nicht nur mögliche Fehlerquellen zu identifizieren, sondern auch Prozessflüsse zu optimieren.“ So könne man beispielsweise dadurch, dass alle möglichen Werte erfasst, in die Cloud gesendet und dort gespeichert werden, exakte Informationen darüber erhalten, welche Zustände und Füllstände die im Reinraum arbeitenden Maschinen und Geräte zu welchem Zeitpunkt haben, welche Belegung der Reinraum aktuell hat, welches Produkt gerade gefertigt wird, welche Personen sich zur Zeit im Reinraum befinden und ob dadurch womöglich bestimmte Grenzwerte überschritten werden und vieles andere mehr.

Dies trägt nach Aussage des Wissenschaftlers am Ende dazu bei, mehr Transparenz über die laufenden Prozesse und somit auch mehr Klarheit über Ursachen von Fehlproduktionen zu erhalten und die Fehlerquellen gezielt auszuschalten. Es sei aber durchaus auch von großer Bedeutung für die Produktivität, wenn etwa Material-Füllstände in Echtzeit kommuniziert werden und so frühzeitig für Nachschub ohne Unterbrechung gesorgt werden könne. Abteilungsleiter Dr. Udo Gommel ergänzt hierzu, man habe hier ein sehr breites Anwendungspotenzial vor sich, das viele verschiedene Bedarfssituationen bedient – und das alles über dieselbe Vernetzung.

Als ein Beispiel kann der sogenannte „Cleanroom Scout“ dienen, der aktuell am IPA entwickelt wird. Dabei handelt es sich um einen kleinen dezentralen Wächter, der im Reinraum entweder das Produkt oder Personen im Sinne von Arbeitssicherheit und Produktsicherheit schützt und überwacht. Auch der Bereich der „Predictive Maintenance“, also der aufgrund konkreter und aktueller Nutzungs- und Verschleißdaten vorhersehbaren Wartung von Geräten und Systemen, wird den Prognosen nach große Veränderungen in der Fertigungslandschaft bringen. So werden künftig beispielsweise über Sensoren in der Achse einer Produktionsmaschine bestimmte Daten wie etwa die Temperatur erhoben werden. Steigt die Temperatur, zeigt dies erhöhte Reibung an und indiziert damit eine zeitnahe Wartung. Diese Möglichkeit, Verschleiße zu detektieren und zum richtigen Zeitpunkt zu beheben, sorgt für die exakte Ausrichtung der Kapazitätsplanung entlang der Wartungszyklen von Geräten. Ausfälle werden so verhindert und die Produktivität gesteigert. Im Reinraum sind vor allem die Filtersysteme für diese Vorhersagemodelle prädestiniert, aber auch alle möglichen Verbrauchsmaterialien.

Roadmap in den Reinraum der Zukunft

Am IPA hat man in der Abteilung von Dr. Gommel eine recht konkrete Roadmap entwickelt, die erkennen lässt, wo wir heute stehen und wo die Reise hinführt. Projektleiter Dr. Giesen erklärt, dass beispielsweise die heute bereits von der technischen Seite her verfügbaren Condition Monitoring Systeme, die jederzeit umfassende Informationen über Zustände von Geräten geben können, in Zukunft selbstverständlicher Bestandteil von Reinräumen sein werden. Auch der papierlose Reinraum spielt in den futuristischen Überlegungen eine große Rolle, wo man daran arbeitet, die Kontaminationsquelle Papier komplett durch die Nutzung von mobilen Geräten wie Tablet PCs auszuschalten und die einzelnen Analysegeräte an diese anzubinden. Während heute die Daten noch überwiegend zentral verwaltet werden, bringt die Zukunft des Reinraums dezentrale Ansätze, wodurch in Zukunft smarte Komponenten im Reinraum eingesetzt werden, die auch standortübergreifend mit den Systemen kommunizieren und so in Echtzeit koordiniert werden.

Eine ebenfalls zukunftsträchtige Technologie sei das Track-and-Trace-Verfahren, bei dem die smarten „Dinge“ im Reinraum sowohl Informationen über ihren Standort als auch Auskunft über ihren Zustand geben, erklären die IPA-Wissenschaftler. Ferner eröffne sich auch die Möglichkeit, die persönliche Schutzausrüstung der Mitarbeiter im Reinraum mit Sensoren auszustatten und so auf Kontamination und Verschleiß hin zu überprüfen und sogar zur Zugangskontrolle zu nutzen. Die zunehmende Fähigkeit der smarten Komponenten zur vollständigen Selbstbeschreibung inklusive der Anbindung an die übergeordneten Informationsverarbeitungssysteme eröffne hier enorme Anwendungsfelder. So werde der Reinraum eine Art selbstverwaltender Wächter, der alle in ihm operierenden Einheiten koordiniert, verwaltet und orchestriert.

Als bereits konkret entwickelte Anwendung „von übermorgen“ ist am IPA eine Augmented Reality-Applikation zu sehen, bei der der Operator im Reinraum über eine Hololens-Brille ein vollständiges Abbild der Maschine sieht, welches ihm über eingeblendete Kontextinformationen beispielsweise anzeigt, welchen Zustand die Maschine aktuell hat, welche Komponenten sich gerade auf dem Apparat befinden, welche Materialwerkstoffe gerade geprüft werden und wie lange der Versuch noch dauert. Auf diese Weise kann er die Prozesse steuern, ohne das Equipment zu berühren.

Ein weiterer spannender Ansatz, der am IPA als `Inside-Out-Technologie`  bezeichnet wird und vorläufig wohl noch Zukunftsmusik bleiben dürfte, ermöglicht es, eine im Reinraum befindliche Maschine über eine Tablet-Anwendung  „nach draußen zu holen“. Somit muss der Operator den Reinraum gar nicht betreten. Stattdessen visiert er von außen einen an der Maschine angebrachten Marker an und sogleich erscheint das exakte Abbild der Maschine auf dem Bildschirm. Über dieses Abbild werden dann die Steuerungen entlang der eingeblendeten Kontextinformationen vorgenommen. Ferner werden bei Bedarf alle erforderlichen Daten und Informationen zu sämtlichen relevanten Teilen, Geräten, Sensoren, Prozessen, bis hin zur Telefonnummer des Kundendienstes, eingeblendet.

Die Zukunft hat also bereits begonnen, auch wenn noch viel Entwicklungsarbeit zu tun ist und Zeit vergehen wird, bis die neuen Technologien tatsächlich ihren Weg in die Reinräume finden werden. Reinraum online wird die weiteren Schritte hin zum Cleanroom 4.0 genau beobachten und regelmäßig berichten.


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Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Nobelstraße 12
70569 Stuttgart
Germany
Phone: +49 711 970 1667
email: joerg-dieter.walz@ipa.fraunhofer.de
Internet: http://www.ipa.fraunhofer.de

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