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Autor
Hans Peter Fritsche

Industrie 4.0 – Von der Vision zur Realität

Konkreter Nutzen für industrielle Wertschöpfungsketten

Mixed Reality in intelligenten Bedienkonzepten. (Foto: OPTIMA packaging group GmbH) / Mixed Reality in smart operating concepts. (Photo: OPTIMA packaging group GmbH)
Mixed Reality in intelligenten Bedienkonzepten. (Foto: OPTIMA packaging group GmbH) / Mixed Reality in smart operating concepts. (Photo: OPTIMA packaging group GmbH)
Condition Monitoring liefert Informationen zu einzelnen Maschinen oder Gesamtlinien in Echtzeit. Anhand vordefinierter Warn- und Fehlergrenzen kann man Abweichungen frühzeitig erkennen und beheben. (Foto: Bosch Packaging Technology) / Condition monitoring delivers information on the individual machines or complete lines in real time. Based on pre-defined alarm and failure limits deviations can be detected and eliminated early on. (Photo: Bosch Packaging Technology)
Condition Monitoring liefert Informationen zu einzelnen Maschinen oder Gesamtlinien in Echtzeit. Anhand vordefinierter Warn- und Fehlergrenzen kann man Abweichungen frühzeitig erkennen und beheben. (Foto: Bosch Packaging Technology) / Condition monitoring delivers information on the individual machines or complete lines in real time. Based on pre-defined alarm and failure limits deviations can be detected and eliminated early on. (Photo: Bosch Packaging Technology)

Die digitale Transformation in Richtung vernetzter Produktionsumgebungen im Sinne von Industrie 4.0 (I4.0) beziehungsweise dem Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) nimmt immer mehr Fahrt auf. Zahlreiche Anwendungen aus den Bereichen Produkt- und Prozessüberwachung, Kennzeichnungstechnik, Verpackung, Logistik sowie Wartung und Instandhaltung zeigen schon heute, welches Optimierungspotenzial in diesem Wandel zum Internet der Dinge steckt. 

Bei diesen Dingen handelt es sich um Sensoren, RFID-Chips (Radio Frequency Identification), Geräte, Maschinen und Anlagen. Diese sollen zukünftig nicht nur eigenständig kontinuierlich Informationen über alle wichtigen Prozess- und Systemzustände liefern, sondern über das Internet auch untereinander kommunizieren und ohne menschliches Zutun korrigierend und optimierend in Produktionsabläufe eingreifen. Basis dieser Kommunikation über das Internet ist das Internet Protokoll (IP) mit seinen eindeutig identifizierbaren IP-Adressen. Das alte Internet Protokoll IPv4 konnte jedoch nur einen Adressraum von knapp 4,3 Mrd. IP-Adressen bereitstellen – und die waren schon Anfang 2012 alle vergeben – an PCs, Notebooks, Tablet-PCs und Mobiltelefone. Deshalb hat man den neuen Standard IPv6 entwickelt, der einen Adressraum von 3,4 x 1038 IP-Adressen umfasst. Adressmangel ist also nicht mehr zu befürchten. Die Umstellung auf IPv6 ist noch voll im Gange. Die Herausforderungen sind also weniger die Dinge an sich und deren Adressen, als vielmehr die durch sie verursachte Datenflut, wenn eines Tages Milliarden von Sensoren jeweils Tausende von Daten pro Sekunde an Leitrechner senden. Diese Daten gilt es in Echtzeit für Visualisierungen und Simulationen auszuwerten und für Dokumentationszwecke (Rückverfolgbarkeit) zu speichern. 

Im Internet der Dinge geht es also hauptsächlich um Daten. Genauer – um die aus diesen Daten gewonnenen Informationen. Und das ist die Domäne von Software und Algorithmen. Was sich damit heute schon erreichen lässt, ist Grund genug, die Transformation aktiv zu betreiben. Die folgenden Beispiele zeigen Anwendungen, die sich schon kurzfristig bezahlt machen.  

Paradigmenwechsel in der Instandhaltung

Schäden an Lagern, Getrieben, Pumpen oder Füll- und Dosiereinrichtungen treten in der Realität nicht urplötzlich auf, sondern kündigen sich lange vor Schadenseintritt durch ungewöhnliche Vibrationen und Temperaturabweichungen oder veränderte Stromaufnahmen, Druckabfall und dergleichen an. Diese von Sensoren im Rahmen des Condition Monitorings erkannten Abweichungen lassen sich heute dank hochkomplexer Analyse- und Simulationsprogramme in Echtzeit auswerten, visualisieren und in verfahrenstechnische Zusammenhänge bringen. Auf Basis dieser Informationen können Maschinen- und Anlagenführer zielgerichtet, vor allem aber ortsunabhängig in die Systeme per Remote Control eingreifen. Beispielsweise um die Anlagen stets im Bereich des Optimums zu fahren, Programmänderungen vorzunehmen oder neue Anwendungs- und Steuerungsprogramme einzuspielen. Weiter lassen sich aufgrund der Simulationsergebnisse präzise Vorhersagen über die noch zu erwartende Restlebensdauer kritischer Maschinenteile treffen, was der Instandhaltung vollkommen neue Perspektiven verleiht. 

Dabei geht man weg von der reaktiven sowie der vorbeugenden Wartung mit ihren turnusmäßigen Austauschintervallen von Komponenten hin zu voraussagbaren, präzise planbaren Wartungsmaßnahmen – dem Predictive Maintenance. Die Vorteile sind eine höhere Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen, deutlich geringere Ausfallrisiken, höhere Betriebs- und Produktionssicherheit sowie deutlich niedrigere Instandhaltungskosten. 

Predictive Maintenance ist darüber hinaus ein wichtiges Element in Sachen Nachhaltigkeit. Beim turnusmäßigen Austausch von Bauteilen war man zwar immer auf der sicheren Seite, verschenkte aber kostbare Restlebensdauer teurer Bauteile, weil keine präzisen Verhaltensdaten existierten. Heute ist das Wissen um Werkstoffverhalten, Dauerbeanspruchungen unter Wechsellast und dergleichen sehr viel weiter, als noch vor 10 oder gar 20 Jahren. Ein weiterer Aspekt sind die heute verfügbaren, deutlich höheren Rechnerleistungen sowie intelligentere Analyse-, FEM-Programme (Finite Element Methode) und Simulationsprogramme. Damit lassen sich zu erwartende Restlaufzeiten mit hoher Präzision ermitteln und vorhersagen – und von diesem Wissen profitiert Predictive Maintenance. 

Mit Maschinen chatten

Die zunehmende Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Intelligenz von Maschinen und Anlagen führt zu immer komplexeren Systemen, was höchste Anforderungen an die Entwicklung von Bedienkonzepten von Mensch-Maschine-Schnittstellen (HMI, Human Machine Interface) stellt. Hardwaremäßig handelt es sich bei HMIs um Endgeräte mit Touchscreen-Funktionalitäten, wie sie die meisten Menschen von ihren Smartphones oder Tablet-PCs her kennen. So können sie beim Erlernen des Umgangs mit den Maschinen und Anlagen auf bekanntem Wissen aufbauen, was motiviert und die Einarbeitungszeit deutlich verkürzt.

Ein zentraler Aspekt bei der Entwicklung von Bedienoberflächen ist, dass sich die Maschinen zunehmend von Menschen ohne spezifische Berufsausbildung sowie oft auch unzureichenden Sprachkenntnissen sicher bedienen lassen müssen. Um Bedienfehler zu vermeiden, setzen die Entwickler von Bedienoberflächen deshalb auf intuitiv erfassbare Grafikelemente anstelle von Sprache. Ebenfalls im Kommen sind fotorealistische 3D-CAD-Darstellungen von Maschinen, Anlagen und Komponenten. Weiter muss eine HMI den Ansprüchen unterschiedlicher Nutzer genügen, je nachdem, welche Qualifikationen und Befugnisse die Person hat. Maschinenführer bekommen dabei andere Bedienoberflächen angezeigt, als beispielsweise Schichtleiter, Instandhalter oder Produktionsleiter. So sieht jeder Nutzer nur die Daten, die seinem Aufgabenbereich entsprechen und in der jeweiligen Situation für ihn relevant sind. Weiter sind die Informationen auf das Wesentliche beschränkt, was für eine übersichtliche Darstellung sorgt und einen sofortigen Überblick über die wichtigsten Maschinenkennzahlen und Produktionsdaten gewährleistet. 

Mobilität und Durchgängigkeit sind weitere Merkmale moderner HMIs. Der Trend geht zu mobilen Endgeräten, von denen aus das Kontrollieren und Steuern der Maschinen und Anlagen je nach Berechtigung des Nutzers ortsunabhängig erfolgen kann. Das spart vor allem im Bereich Service und Instandhaltung Zeit und Reisekosten. 

Arbeiten in virtuellen Welten

Kaum ein Thema stößt derzeit im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge auf so viel Resonanz wie der virtuelle beziehungsweise digitale Zwilling. Seine technischen Grundlagen sind leistungsfähige 3D-CAD-, Simulations-und Analyseprogramme sowie virtuelle 1:1-Kopien realer Steuerungsprogramme von Maschinen und Anlagen. Auf solchen Software-Werkzeugen aufbauend bildet er den gesamten Produktionsprozess inklusive Komponenten, Maschinen, Anlagen und deren Steuerungen als virtuelles Modell ab – und zwar mit allen für die Simulationen erforderlichen physikalischen Daten. Zudem bietet er die Möglichkeit der Offline-Programmierung. Das alles macht den virtuellen Zwilling zu einem Universalwerkzeug für Entwickler, Betreiber und Instandhalter.

So lassen sich dank der realitätsnahen Simulationen bereits während der Entwicklungsphase Konstruktionsfehler bzw. Schwachstellen in der Konzeption erkennen und beheben, ohne auch nur ein reales Teil vorher zu fertigen. Das gilt auch für das Programmieren und Optimieren von Steuerungen.

Eine der wichtigsten Anwendungen ist die virtuelle Inbetriebnahme. Sie ist nicht nur ein virtueller Probelauf, sondern dient auch dazu, die für die Anlage zuständigen Mitarbeiter gezielt mit den Eigenheiten und Möglichkeiten des Systems vertraut zu machen. Anders ausgedrückt: Der digitale Zwilling ist der Flugsimulator für industrielle Prozesse, Maschinen und Anlagen. Die virtuelle Vorwegnahme der realen Inbetriebnahme zahlt sich mehrfach aus. Sollten noch irgendwo Fehler im System oder im Bedienkonzept stecken, lassen sich diese im Vorfeld bereinigen, ohne dass reale Anlagenteile daran Schaden nehmen. Die Offline-Programmierung wiederum ermöglicht es Produktionsplanern, während des laufenden Betriebs virtuell Änderungen am System vorzunehmen und deren Auswirkungen auf die Taktzeiten zu ermitteln oder verschiedene Betriebsarten zu testen. Der wichtigste Aspekt ist jedoch, dass im virtuellen Zwilling das Erfahrungswissen vieler Spezialisten vereint ist, das sich später auch in weiteren Projekten verwenden lässt.

Auf den Punkt gebracht können Anlagenbauer und Anwender dank der ausgefeilten Simulationen eine signifikante Verkürzung von Projektlaufzeiten, schnellere Inbetriebnahmen und deutliche Effizienzeffekte bei der Entwicklung ähnlicher Anlagen und Prozesse erzielen. Das spart neben Zeit vor allem Ressourcen, Energie und Manpower.

Standardisierte Schnittstellen sind ein Muss

Standardisierung ist nach wie vor eine große Herausforderung, denn immer noch haben die meisten Maschinenhersteller ihre eigenen Schnittstellen. Nun ist aber Integration das wesentliche Merkmal im Internet der Dinge. Und diese Integration erfordert vor allem Durchgängigkeit beim Daten- und Informationsaustausch zwischen Maschinen – vertikal, wie auch horizontal. Und eben das erzwingt offene Standard-Protokolle. Der Trend geht deshalb zu Open Source Lösungen, da diese als nicht proprietäre Systeme eine hohe Investitionssicherheit und Unabhängigkeit bieten. Ein Beispiel hierfür ist die OPC Unified Architecture (OPC UA), ein Paket von Spezifikationen zur Anbindung von Maschinen unterschiedlicher Hersteller. Für Sicherheit sorgt OPC UA durch Authentifizierung und Autorisierung, Verschlüsselung und Datenintegrität.

Damit ist OPC UA ideal für einen sicheren, zuverlässigen und herstellerneutralen Transport von Rohdaten und vorverarbeiteten Informationen von der Fertigungsebene in übergeordnete Produktionsplanungs- oder ERP-Systeme geeignet. 

Auch Altanlagen können 4.0

Viele ältere Maschinen, Anlagen, Motoren und Kompressoren sind nicht mit der für Industrie 4.0 erforderlichen Sensorik und Kommunikationstechnik ausgestattet – teilweise auch nicht für den Betrieb in vernetzten Systemen. Das heißt aber nicht, dass diese Anlagen deshalb angesichts der digitalen Transformation obsolet wären. Hier lassen sich, quasi als Einstiegslösung in Industrie 4.0, smarte Sensoren nachrüsten. Die messen regelmäßig wichtige Zustandsparameter der Maschinen und Anlagen und senden die Daten über eine integrierte Kommunikationsschnittstelle drahtlos zur Auswertung an die HMIs bzw. Smartphones oder Tablet-PCs der Mitarbeiter. Mit diesen und anderen einfachen Methoden können Unternehmen kostengünstig in die Welt von Industrie 4.0 einsteigen und von reduzierten Stillstandszeiten, verlängerten Maschinenlaufzeiten sowie niedrigeren Stromverbräuchen und dergleichen profitieren. 

Zur interpack 2017 organisiert der Fachverband Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungs-maschinen im VDMA eine Sonderschau zum Thema Industrie 4.0. Sie zeigt als Technik-Lounge am VDMA-Stand Anwendungsbeispiele von Lösungen aus dem Bereich Verpackungsmaschinen bzw. Prozesstechnologie, die neue Möglichkeiten in den Anwendungsfeldern Sicherheit, Rückverfolgbarkeit, Kopier- bzw. Plagiatsschutz und individualisierte Verpackungen bieten.


Weitere Informationen


Messe Düsseldorf GmbH
40001 Düsseldorf
Deutschland


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