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Autor
Barbara Fischer-Reineke

Der OP wird mit dem Helikopter eingeflogen







Ein mobiles und modulares Reinraumsystem soll in  Kriegs- und Krisengebieten als Krankenhaus dienen und so eine bessere Gesundheitsversorgung der Menschen ermöglichen. Was sich zunächst wie eine Utopie anhört, soll schon bald Realität werden.

Auf der Cleanzone in Frankfurt im Oktober 2016 war der futuristisch wirkende Prototyp des neuartigen „Krankenhauses“ stets von faszinierten Besuchern umringt. Den meisten fehlte aber wohl die Fantasie, um sich die helle Modulzelle im tatsächlichen Einsatz als Ambulanz in einem Erdbebengebiet oder als Operationsraum in Kriegsregionen vorzustellen. Doch wenn es nach den Entwicklern des Adriatic Institute of Technology (AIT) mit Sitz in Ancona geht, zu dessen Gründern Professor Gernod Dittel von Dittel Engineering aus Kochel am See gehört, soll das sogenannte „Shellbe“-System schon bald massive Lücken in der Gesundheitsversorgung strukturschwacher Regionen schließen.

Dass in weiten Teilen der Welt die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung instabil bis schlecht ist, gilt heutzutage als Faktum. Ist der Mangel an Kliniken, Ambulanzen, Ärzten und Medikamenten in vielen ländlichen Regionen Afrikas, Lateinamerikas und Südostasiens ohnehin schon eklatant, so verschärft sich dieses Defizit im Falle von Kriegen, Krisen oder Naturkatastrophen bis zur Unerträglichkeit. Hier soll nun „Shellbe“ Abhilfe schaffen. Die Grundidee dabei ist es, ein mobiles Krankenhaus zu den kranken und hilfsbedürftigen Menschen zu bringen, anstatt diese über unebenes Terrain in eine weit entfernte Klinik zu transportieren. Mit „Shellbe“ könnten somit die bisherigen, eher als notdürftig zu bezeichnenden Lösungen wie das Operieren in Zelten, mobile Krankenstationen auf Lkws und transportfähige Feldlazarette ersetzt werden, zumal diese „Lösungen“ auch in Puncto Keim- und Partikelschutz oft nur einfachste Anforderungen an die Hygiene erfüllen, von einer Beherrschung der klimatischen Verhältnisse einmal ganz abgesehen.

Mobil, flexibel, modular und kugelsicher

Das „Shellbe“-System besteht aus transportfähigen Modulen, lässt sich leicht auf- und abbauen und je nach Bedarf um beliebig viele Module erweitern. Herzstück des Konzepts ist ein Basismodul von 6 mal 6 Metern Kantenlänge und 3,4 Metern Höhe, das in Schalenbauweise errichtet wird. Der Name „Shellbe“ leitet sich nach Angaben der Entwickler aus den englischen Wörtern „shelter“ für Schutzraum und „shell“ für Hülle ab. Das Basismodul dieser schützenden Hülle setzt sich aus wenigen Elementen zusammen: Zusammensteckbare Aluminiumrohre sowie die Boden- und Deckplatte bilden einen tragenden Rahmen. Daran werden Schalen als Seitenwände befestigt. Sie enthalten die Öffnungen für Tür und Fenster. In einer der Seitenwände sind zudem alle technischen Vorrichtungen untergebracht, die etwa für die Energieversorgung, Klimatisierung und Luftreinhaltung erforderlich sind. Das Modul soll nämlich, so das Ziel der Entwickler, sehr hohen Ansprüchen an die autarke Versorgung genügen, so dass sein Einsatz gerade in nicht erschlossenen Gebieten der Welt möglich wird. Fotovoltaische Module, Solarzellen und Windräder könnten ebenso wie Dieselgeneratoren die Stromversorgung für medizinische Geräte, Leuchten und Klimaanlage sicherstellen. Regenwasserkollektor und Wasseraufbereitungsanlage sind ebenfalls inklusive.

Einmal irgendwo abgestellt, sollen im Inneren gleichmäßige und kontrollierte Temperaturen herrschen – ob in der Wüste, im Dschungel oder im ewigen Eis. Zunächst ist eine sichere Funktionsfähigkeit geplant von minus 30 bis plus 50 Grad Celsius Außentemperatur. Im nächsten Schritt fassen die Entwickler eine Spanne von minus 50 bis plus 80 Grad ins Auge, wofür sie ein spezielles Isolationsmaterial sowie einen speziellen Verbundkunststoff mit Carbonfaser testen, der in der Außenhaut sogar kugelsicher sein soll.

Teil der technischen Ausstattung des Moduls ist ein neu entwickeltes System der Luftreinhaltung (HVAC). Es soll Partikel und Keime aus der Luft filtern und dafür sorgen, dass innerhalb der Station hochreine Arbeits- und Lebensbedingungen herrschen. Dank dieser im mobilen Einsatz außergewöhnlich hohen Standards sehen die Entwickler sehr viele Einsatzzwecke für „Shellbe“. Je nach Variante und Innenausstattung könne es Reinraum, OP-Saal, Ambulanz, Apotheke, Pflegeraum, Biolabor oder Forschungsstation sein. Das Modul entspreche den Maßstäben an Keimfreiheit, Klima- und Partikelkontrolle, die sonst nur in (besseren) stationären Krankenhäusern, sowie in technischen und aseptischen reinraumtechnischen Anlagen eingehalten werden könnten. Das System bietet hierfür eine integrative und gesamtübergreifende Anlagen- und Überwachungstechnologie und stellt somit alle Anforderungen an einen Betrieb nach DIN EN ISO-14644 sowie den GMP Anforderungen (Klasse A-B-C-D) sicher.

Größe je nach Bedarf wandelbar

Je nach Einsatzgebiet kann mobile Gesundheitsversorgung in sehr verschiedenen Kapazitäten benötigt werden. Während es im einen Fall um die flächendeckende Versorgung mit grundlegender ärztlicher Betreuung über viele verstreute, kleine Stationen gehen kann,  braucht es in einer anderen Situation vielleicht gleich einen ganzen Gesundheitskomplex für viele Menschen, etwa in einem Flüchtlingslager, wo mehrere 100 Betten samt Infrastruktur gebraucht werden. „Shellbe“ kann nach Angaben von AIT beides sein: sowohl eine kleine, eigenständige Station auf dem Land als auch Teil eines großen Komplexes. Denn die Module lassen sich koppeln. Nach dem Zugang durch Schleusen erreichen Mitarbeiter und Patienten die einzelnen Module durch Korridore, die Ähnlichkeit haben mit den Fluggastbrücken, die Terminals und Flugzeuge miteinander verbinden. Diese Korridorsysteme können auch genutzt werden, um die Vielfalt der Systeme an eine bestehende Infrastruktur anzubinden.

Diese Skalierbarkeit hat diverse Vorteile, denn so ist es möglich, selbst mitten im infrastrukturellen Niemandsland ein komplett ausgestattetes Krankenhaus mit all seinen verschiedenen Abteilungen für Behandlung und Pflege aufzubauen. Während in einem Modul der Operationssaal untergebracht ist, befinden sich in einem anderen Modul Betten für bis zu sechs Patienten, das nächste Modul wiederum beherbergt ein Sprechzimmer – und so weiter. Die Planungen und Simulationen der Entwickler am Computer umfassen bereits Anlagen mit bis zu 1.000 Betten. Ein weiterer Vorteil der Skalierbarkeit ist die Möglichkeit bedarfsgerecht zu planen und damit die Kosten im Auge behalten. Die Gesundheitsstation muss jeweils nur so groß sein, wie sie aktuell gebraucht wird. Sobald sich der Bedarf ändert, können die Module entweder erweitert, verkleinert oder sogar an einen anderen Ort verlagert werden.

Erdbebensichere Konstruktion

Um diese Mobilität zu gewährleisten, legen die Entwickler beim AIC besonderes Augenmerk auf die Transportfähigkeit von „Shellbe“. Zerlegt lässt sich ein einzelnes Basismodul per Autoanhänger überall hin transportieren. Drei Stück passen in einen 40 ft-Standardcontainer. Die können weltweit verschifft und mit einem geländegängigen Fahrzeug auch in unwegsame Gebiete verfrachtet werden. Dort angekommen, werden die Modulteile entpackt und montiert. Das schwerste Einzelteil wiegt 50 Kilogramm, weshalb der Aufbau in Handarbeit, also ohne Kräne oder Ähnliches, möglich ist. Zur Not lasse sich ein solches Modul, so hieß es auf der Cleanzone, sogar „am Haken“ per Hubschrauber an den Einsatzort einfliegen. Bodenunebenheiten gleicht die erdbebensichere Rahmenkonstruktion bis zu einer Höhe von 1,60 Metern aus. So kann „Shellbe“ auch auf Geröllfeldern und sogar in Hanglagen aufgestellt werden – und das nach nur wenigen Monaten Vorlaufzeit. Ein stationäres Krankenhaus in konventioneller Bauweise dauert hingegen mehrere Jahre der Planung und Errichtung.

Nach Aussagen von Professor Dittel kann „Shellbe“ die Chancen auf medizinische Behandlung und deren Qualität in vielen Ländern deutlich vergrößern. Das sei aufgrund der steigenden Zahl an Krisen in immer mehr Regionen von Bedeutung. Naturkatastrophen oder Kriege führten oft zu einem sprunghaften Anstieg des medizinischen Versorgungsbedarfs in unterversorgten Regionen.

Ziel des Adriatic Institute of Technology (AIT) und seiner Zulieferer ist nach eigenen Angaben die Entwicklung modularer, mobiler und multifunktionaler Sheltersysteme, die die hohen Qualitätsansprüche reinraumtechnischer Anlagen und stationärer Krankenhäuser erfüllen. Das deutsch-italienische Unternehmen wurde im Jahr 2014 von den Ingenieuren Gernod Dittel und Matteo Filippi gegründet. Dittel ist Geschäftsführer des Reinraumplanungsbüros Dittel Engineering in Kochel am See und fungiert im AIT als Präsident sowie als Chief Technical Officer (CTO). Der in Sonderbauten erfahrene Bauingenieur Filippi ist Geschäftsführer von CTSA S.R.L in Ancona und fungiert im AIT als Chief Execution Officer (CEO).



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