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Klaus Jacob
Winzig, hochpräzise und sensibel - eine Herausforderung in jeder Dimension
Geschäftsfeld Elektronik und Mikrosystemtechnik
Die ersten PCs, die Anfang der 1980er Jahre auf den Markt kamen, waren klobige Koffer, die kaum Komfort boten. Heute leistet jede Smartwatch am Handgelenk ein Vielfaches dieser Dinosaurier. Die Miniaturisierung hat ein Maß erreicht, das sich noch vor einem Jahrzehnt niemand hätte träumen lassen. Ein Transistor auf einem integrierten Schaltkreis ist kleiner als jede Bakterie, Sensoren messen nur Millimeter und für den Blick auf manches Schräubchen braucht man eine Lupe. Es gibt Herzschrittmacher von der Größe einer Pille und Einweglabore für die Blut-Analyse mitsamt Pumpen, Ventilen und Kanälen, die auf einem Siliziumchip Platz finden. Winzige Pico-Satelliten, die ins All geschossen werden, wiegen kaum mehr als ein Stück Butter.
Der Hang zum Kleinen und Kleinsten findet sich insbesondere in der Elektronik und Mikrosystemtechnik. »Die Miniaturisierung stellt höchste Anforderungen an die Produktion und er fordert teilweise ganz neue Ansätze«, weiß Dr. Udo Gommel, der bis Februar 2016 das Geschäftsfeld leitete. Vor allem: Es muss extrem sauber zugehen. Wenn schon ein Staubkorn zum Totalausfall eines Bauteils oder sogar eines ganzen Geräts führen kann, ist Reinheit höchste Pflicht. Auch die Bearbeitung und Montage bei diesem Miniaturisierungsgrad macht neue Technologien nötig. Beispielsweise lassen sich die winzigen und empfindlichen Bauteile mit den üblichen Werkzeugen und Methoden nur noch bedingt handhaben. Zudem muss beispielsweise das Auftragen von Klebstoffen im Fügeprozess mit höchster Präzision erfolgen. Die Mitarbeiter aus dem Geschäftsfeld »Elektronik und Mikrosystemtechnik« stellen sich den Herausforderungen, die mit der Herstellung solcher Produkte verbunden sind. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der produktionstechnischen Fragestellungen der Industrie. Hinzu kommen selbst oder zusammen mit Partnern entwickelte Produktansätze, wie z. B. ein im Fraunhofer-Verbund realisierter kompakter Radarscanner, der optische Hindernisse durchdringt und auch bei Staub, Rauch, Nebel oder Regen klar sieht.
Weltweit größter Forschungsreinraum
Voraussetzung für das Herstellen von haarfeinen Strukturen oder das Verarbeiten kleinster Bauteile ist ein reinheitstechnisch kontrollierter Bereich, also meist ein Reinraum. Zur Erforschung und Bewertung der Abhängigkeiten des Kontaminationsverhaltens von Produktionseinrichtungen und der erzielbaren Qualitätsgüte der herzustellenden Produkte steht dem Fraunhofer IPA neben einer Vielzahl von Analysesystemen der weltweit größte Forschungsreinraum der ISO-Klasse 1 mit laminarer Verdrängungsströmung zur Verfügung. Er misst rund 150 Quadratmeter Grundfläche bei einer Raumhöhe von über 6 Metern. Mit seiner Schwerlast-Auslegung können dort natürlich nicht nur sehr kleine Endprodukte, sondern in Kombination auch die meist sehr großen und schweren Produktionsanlagen/-systeme bis zu einem Gesamtgewicht von knapp 40 Tonnen untersucht und optimiert werden. Ein Kubikmeter seiner Luft enthält höchstens 10 Partikel der Größe 0,1 Mikrometer, in üblicher Stadtluft sind es 10¹³ Partikel. Dazuhin besitzt das Institut hochmoderne Geräte wie Rasterelektronenmikroskope, Mikro-Computertomographen oder Massenspektrometer, die es möglich machen, die Verschmutzung der Bauteile zu messen sowie die Wirksamkeit der verschiedenen Reinigungsverfahren zu beurteilen und zu vergleichen. So ist es kein Wunder, dass Stuttgarter Experten in den wichtigen Gremien sitzen, die für die Standardisierung von Reinheits- und Reinigungsverfahren zuständig sind.
Industrieverbünde »Cleanroom Suitable Consumables« (CSC) und »MediClean«
Wie wichtig das Thema für die Industrie ist, zeigt die durch das IPA initiierte Gründung von zwei neuen Initiativen. Beim Industrieverbund »Cleanroom Suitable Consumables« (CSC) geht es um Verbrauchsmaterialien, die tagtäglich im Reinraum genutzt werden, also um Overalls, Handschuhe, Mundschutz, Wischtücher und Ähnliches. Die Motivation dahinter: Der beste Reinraum ist nutzlos, wenn er durch Verunreinigungen, die von Verbrauchsmaterialien bei deren bestimmungsgemäßem Einsatz abgegeben werden, ständig neu kontaminiert wird. Bisher fehlen hierfür verlässliche Regeln oder auch nur vergleichende Messungen, sodass es oft zur Überschreitung von produktspezifischen Sauberkeitsgrenzwerten kommt. »Wir versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen«, sagt der zuständige IPA-Experte Frank Bürger. An dem Verbund beteiligen sich Unternehmen aller Branchen, die auf sauberkeitskontrollierte Bereiche angewiesen sind, vor allem aus der Pharmazie, der Elektronik und der Raumfahrt. Das Regelwerk, das am Ende entsteht, soll später als internationale Norm etabliert werden. Der zweite Industrieverbund verfolgt ähnliche Ziele auf dem Gebiet der Medizin. »MediClean« kümmert sich um die Sauberkeit von medizintechnischen Produkten, z. B. von Implantaten oder Injektionsnadeln. Schon während des produktionstechnischen Herstellungsprozesses, aber auch im Krankenhaus und in Arztpraxen sind Sauberkeit und Hygiene lebenswichtig, weil Biokontaminationen (z. B. Keime) zu Entzündungen oder einer Abstoßung eines medizintechnischen Implantats führen können. Aber bislang gibt es keine verbindlichen Normen, wie eine sauberkeitsgerechte Herstellung oder eine effektive Reinigung auszusehen hat. So kann es immer wieder zu Komplikationen kommen. Die Krankenkassen schätzen den ökonomischen Schaden, der allein in Deutschland durch Abstoßungsreaktionen des Körpers auf unreine Implantate entsteht, auf jährlich rund 7 Milliarden Euro. Der Industrieverbund unter Leitung des IPA soll nun Abhilfe schaffen. Aber auch auf technologischer Ebene leistet das Fraunhofer IPA durch die im Geschäftsfeld gebündelten Kompetenzen einen entscheidenden Beitrag zur möglichen industriellen Umsetzung von Hightech-Produkten. Muss beispielsweise ein kontaminationsempfindliches Bauteil gereinigt werden – kein Problem. Das IPA verfügt über die wesentlichen Reinigungsverfahren, ob Plasma, Ultraschall oder Kohlendioxid, ob nass oder trocken.
CO2-Reinigung
Besondere Expertise hat das IPA bei der CO2-Reinigung, die für hoch empfindliche Teile unschlagbar ist. Die Stuttgarter Experten entwickeln eine Methode, Folien und Glassubstrate, wie sie für viele Smartphones zur Anwendung kommen, während der Rolle-zu-Rolle-Herstellung zu reinigen. Mittels einer patentierten Zweistoffdüse werden die zu reinigenden Oberflächen mit kristallinem CO2-Schnee »bestrahlt«. Über die Variation der Parameter des Strahldrucks, des Zweistoffgemischs, der Strahlwinkel, des -abstands etc. können in Abhängigkeit der zu reinigenden Oberflächenspezifika optimierte Reinigungseffizienzen erzielt werden. Zum einen findet bei Raumtemperatur aufgrund der Temperaturdifferenz zwischen Oberfläche und CO2 von knapp 100 Kelvin eine Versprödung von filmischen Verunreinigungen, beispielsweise von Ölen oder Fetten, statt. Durch den Strahldruck werden dann aufgerissene, filmische Verunreinigungen abgeschilfert und somit gleich abtransportiert. Des Weiteren sublimiert der CO2-Schnee beim Auftreffen auf die Oberfläche, geht also schlagartig in den gasförmigen Zustand über. Er explodiert regelrecht, wobei sich sein Volumen um den Faktor 800 vergrößert. Dabei lösen sich die versprödeten Schmutzpartikel unweigerlich ab, ohne dem empfindlichen Substrat zu schaden. Ein aktuelles Anwendungs-Highlight in diesem Bereich ist die in den IPA-Laboren stattfindende Reinigung von Komponenten zum Bau von Satelliten und Raumsonden.
Sauberkeit der Fertigungsprozesse
Neben der Reinigung einzelner Bauteile ist die Sauberkeit der Fertigungsprozesse qualitätsentscheidend. Mikrochips und Displays sind besonders sensible Teile, die quasi keinerlei Kontamination vertragen. Schon ein einziges Feinstaub-Partikel kann einen Kurzschluss verursachen und die Elektronik ruinieren. Wer böse Überraschungen vermeiden will, muss seine gesamte Fertigungsanlage von vornherein entsprechend auslegen, vom Design und der Reinraum-Ausstattung über die benutzten Werkzeuge und die Werkstoffauswahl bis zur Kleidung des Personals. IPA-Experten, etwa das Team um Frank Bürger, liefern entsprechende Lösungen. Bei Unklarheiten führen sie die nötigen Tests durch und können sogar, falls gewünscht, die Mitarbeiter schulen.
Handhabung winziger Teile
Eine besondere Herausforderung bei der Produktion mikroelektronischer und mikrotechnischer Produkte, wie beispielsweise dem Smartphone, ist die Handhabung der winzigen Teile. Vereinzeln, greifen, zuführen, fixieren, positionieren – das alles lässt sich nicht wie bei der Möbelproduktion bewerkstelligen. Da braucht es innovative Methoden. Zum Beispiel hat die Arbeitsgruppe um Dirk Schlenker eine Methodik entwickelt, wie man mikroskopisch kleine Bauteile, die in einem ungeordneter Haufen aufeinanderliegen, vereinzelt und dorthin befördert, wo man sie braucht. Die herkömmlichen Vibrationsförderer stoßen bei Bauteilen kleiner als einem halben Millimeter an ihre technischen Grenzen. Denn die »Zwerge« bleiben wegen ihres geringen Gewichts einfach auf dem Band liegen. Das Forscherteam hat deshalb komplett umdenken müssen. Die Inspiration kam schließlich aus der Natur: Wasserläufer können über das Wasser laufen, indem sie dessen Oberflächenspannung nutzen. Winzige Schrauben, Zahnräder, Kugeln, Chips oder Sensoren sind ebenfalls leicht genug, um nicht unterzugehen. Bei dem patentierten Verfahren mit dem Namen »IPA.Fluid-Sorting«, das erfolgreich in einem Prototyp umgesetzt wurde, schwimmen die federleichten Bauteile auf einer erzeugten Flüssigkeitsoberfläche und gleiten dank der Schwerkraft von alleine zum Rand des Flüssigkeitsfilms. Dort stoßen sie gegen eine Anschlagkante und reihen sich wie die Perlen einer Kette auf. So kann man sie nach dem Zurückziehen der Flüssigkeit bequem aufnehmen. Das Verfahren eignet sich für alle Bauteile, die kleiner als ein bis zwei Millimeter sind. Nach unten gibt es fast keine Grenze: »Wir können im Prinzip sogar Staubkörner sortieren. Je kleiner, desto besser«, sagt Schlenker. Noch ist der Bedarf für solche Mikro-Sortieranlagen überschaubar, doch es ist absehbar, dass immer mehr Mini-Teile gebraucht werden, sei es in der Medizintechnik, der Uhrenindustrie oder der Mikroelektronik.
Mikrodosiertechnik
Neben der Handhabung braucht auch der Zusammenbau kleinster Bauteile neue Ideen. Beispiel Kleben: jeder kennt das Ärgernis, wenn der Klebstoff nach getaner Arbeit nachtropft, weil sich der Druck in der Tube nur langsam abbaut. Wenn es um Mikro-Montage geht, darf so etwas nicht passieren. Ein einziger Tropfen kann ein ganzes Produkt ruinieren. Dem Team um Schlenker gelang es in Kooperation mit einem Industriepartner das am IPA entwickelte »IPA.VALVE« erfolgreich am Markt zu platzieren. Mit dem Schließventil, das zur Vermeidung des typischen Nachtropfens problemlos an die heutigen Dosiersysteme angeschraubt werden kann, können alle Arten von Flüssigkeiten, also neben Klebstoff auch für Öl oder Dichtmaterial, zuverlässiger als bisher dosiert werden. Auf der letzten Fachmesse für Produktions- und Montageautomatisierung Motek »war das Ventil der Renner«, freut sich Schlenker. Es ist so schlicht aufgebaut, dass es demnächst sogar als Einwegkomponente für wenige Euro in den Handel kommen soll.
Intelligenter Werkstückträger
Neben den erzielten technologischen Fortschritten kommen vom IPA auch innovative Produktionslösungen. So arbeiten IPA-Experten aktuell an der Fabrik der Zukunft, die unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« eine neue Ära der Produktion einläuten wird. Ein für das Geschäftsfeld relevantes Thema dort sind intelligente Komponenten. Die Idee dahinter: Die einzelnen Maschinen und Produktionsmittel sind nicht länger Einzelkämpfer, sondern arbeiten im Team. Sie kommunizieren miteinander und finden so selbst die optimale Lösung. Das erhöht die Flexibilität und Effizienz einer Fabrik erheblich. IPA-Ingenieure haben im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts »smartWT« einen weiteren Baustein zu der vernetzten Fabrik beigesteuert: einen intelligenten Werkstückträger, der Bauteile von einer Maschine zur anderen transportiert und diese im Prozess bereitstellt. Der »smartWT« ermöglicht das kontinuierliche Erfassen von Logistik- und Prozessdaten und übermittelt sie drahtlos. Bestückt ist er mit miniaturisierten Modulen zur Signalverarbeitung, Kommunikation und Energiespeicherung. Obendrein ist er so ausgelegt, dass er während des Transports selbsttätig Aufgaben übernehmen kann, etwa ein Bauteil positionieren. Die Aufgabe des IPA war es, die einzelnen Funktionseinheiten in den Werkstückträger zu integrieren und mögliche Anwendungsszenarien zu entwickeln.
Die modulare Montageanlage
Verbunden mit dem Trend zu intelligenten Systemen, braucht man zunehmend Produktionslösungen, mit denen sich auf die Anwendung hin angepasste Produkte, wie z. B. Sensoren wirtschaftlich herstellen lassen. So lohnt sich bei hohen Stückzahlen wie bei der Handy-Produktion die Investition in große Anlagen. Im Sensorbereich muss die Produktion anders aussehen, da sind die Mengen eher kleiner und die Variantenvielfalt groß. Risikoreich ist insbesondere die frühe Phase der industriellen Umsetzung, wo teilweise die Prozesse und deren Verkettung noch nicht endgültig stehen. Gemeinsam mit Partnern hat das IPA im Rahmen des vom BMBF geförderten und dem Spitzencluster microTEC Südwest zugeordneten Verbundprojekts eine Lösung entwickelt – die modulare Montageanlage »VolProd« Sie ermöglicht den einfachen Austausch einzelner Prozessmodule und nach Bedarf deren schrittweise Automatisierung und Verknüpfung. Wie dies aussehen kann, zeigt der am IPA aufgestellte Demonstrator.
Digitale Drucktechnik
Neben der Entwicklung wandelbarer und miniaturisierter Anlagen für die Mikrosystemtechnik arbeiten die Forscher des IPA an Produktionslösungen für eine neue Generation an Produkten. Gemeint sind die vielerorts kommunizierten innovativen Lösungen aus dem 3D-Drucker. Jedoch konzentriert sich das IPA hier nicht nur auf die Herausforderung, einzelne Schichten zuverlässig aufzubauen, sondern auch auf die produktionstechnische Fragestellung: die direkte Integration von Bauteilen im Aufbauprozess. Gemeinsam mit Partnern wurden innovative Prozess- und Systemlösungen entwickelt, die nun als Entwicklungsbasis und zur Demonstration zur Verfügung stehen. So beispielsweise ein Montagemodul, mit dem winzige LEDs in eine Tasche einer Trägerfolie eingesetzt werden können, die ein Teil einer mehrlagigen Beleuchtungsfolie darstellt.
Die Liste der Expertisen, die das IPA für die Elektronik und Mikrosystemtechnik-Produktion hat, ließe sich noch verlängern, etwa auf Forschungsgebiete wie Galvanik, Bilderkennung, Vernetzung von Sensoren oder Informationsverarbeitung.
Martin Schleef leitet seit März 2016 das Geschäftsfeld »Elektronik und Mikrosystemtechnik«. Dr. Udo Gommel, der die Funktion seither erfolgreich innehatte, ist sein Stellvertreter. Er leitet die Abteilung »Reinst- und Mikroproduktion«.
Dr.-Ing. Udo Gommel:
Leiter der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion, stellv. Geschäftsfeldleiter Elektronik und Mikrosystemtechnik
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