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Rein ins ALL
Bauteile, die bei einer Weltraummission eingesetzt werden, müssen penibel gereinigt sein. Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher haben im Auftrag der ESA einen Reinraum konzipiert, in dem sogar Verschmutzungen im Nanometerbereich entfernt werden können. Gemeinsam mit Partnern reinigen und sterilisieren die Experten den Marsrover ExoMars, der 2018 starten soll.
Weltraummissionen sind mit enormen Kosten verbunden. Da sich eine unbemannte Raumsonde, einmal gestartet, nicht mehr reparieren lässt, darf kein Bauteil, kein Aggregat versagen – sonst wären alle Anstrengungen umsonst, und die Wissenschaftler müssten viele Jahre auf eine Ersatzmission warten. Deshalb darf kein Schmutz die Mechanik blockieren, einen Kurzschluss verursachen oder die Elektronik stören. Besonders penibel sauber müssen Raumsonden sein, die Spuren von Leben auf einem fremden Planeten suchen sollen. Genau darum geht es bei der europäischen Marsmission ExoMars, deren Start für 2018 geplant ist. Eine Landefähre wird dann auf dem Nachbarplaneten aufsetzen und ein Gefährt von der Größe eines Smart losschicken. Damit seine Sensoren, die nach Leben suchen, zuverlässig arbeiten können, darf kein organisches Material von der Erde eingeschleppt werden. Das könnte zu Fehlalarmen führen.
Keimfreie Bauteile
Dass alle Bauteile absolut keimfrei sind und nicht einmal Reste toter Mikroben in Ritzen kleben, dafür sorgen Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Um den Marsrover zuverlässig sterilisieren zu können und selbst Verschmutzungen im Nanometerbereich zu entfernen, haben die Stuttgarter Experten für die ESA einen Reinraum konzipiert und im niederländischen Noordwijk, dem Sitz des Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrums (ESTEC), eingerichtet. Der etwa 70 Quadratmeter große, reinheitstechnisch kontrollierte Bereich genügt den höchsten Anforderungen der ISO-Klasse 1. Das bedeutet, dass ein Kubikmeter Luft nicht mehr als 10 Partikel von 0,1 Mikrometer Größe enthält. Zum Vergleich: In normaler Stadtluft schwirren etwa 1010 Partikel in jedem Kubikmeter, bei Smog noch mehr.
Die Experten vom IPA haben nicht nur den Reinraum geplant, sondern auch die Qualitätssicherung, Realisierung, Abnahmemessung und Inbetriebnahme übernommen. »Im Prinzip haben wir ein Rundumsorglos-Paket geschnürt. Wir legten fest, wie der Raum dimensioniert wird, trafen die Auswahl der Reinheits- und Reinigungstechnik, der Anlagen- und Lüftungstechnik, der Bodenbeschichtungen, der Filtrationssysteme und des Sterilisationsequipments und gaben Empfehlungen für Industriepartner, die den Raum bauen«, sagt Udo Gommel, Leiter der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion am Fraunhofer IPA in Stuttgart. Damit die höchste Reinheitsstufe eingehalten wird, müssen die ESA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter mehrere Schleusen und eine Luftdusche passieren und hochreine Anzüge tragen. Im Inneren der Reinheitsbereiche herrscht ein leichter Überdruck, damit keine ungefilterte Luft eindringen kann. Zudem sorgt eine laminare Luftströmung, die von der Decke zum Boden führt, dafür, dass kein Staubkörnchen im Raum bleibt. Bei einer Strömungsgeschwindigkeit von 50 Zentimetern pro Sekunde wird die gesamte Raumluft innerhalb weniger Sekunden ausgetauscht. Partikel, die etwa entstehen, wenn ein ESA-Ingenieur seine Handschuhe aneinander reibt, verschwinden im Nu im perforierten Boden.
Mit Kohlendioxidschnee reinigen
Für das Sterilisieren des Marsrovers hat sich ein Verfahren bewährt, das am IPA weiterentwickelt und zum Patent angemeldet wurde. Ursprünglich wurde die Methode in den USA angewandt, um den Lack von Flugzeugrümpfen zu entfernen. Ein harter Strahl aus reiskorngroßen Kristallen von gefrorenem Kohlendioxid sprengt dabei die Farbe regelrecht vom Metall ab. Die Stuttgarter haben das grobe Instrument stark verfeinert. Anstatt Eiskristallen verwenden sie Kohlendioxidschnee. Der Clou: Der Strahl, der aus der Düse kommt, wird mit einem umhüllenden Stickstoffstrahl beschleunigt. So dringt er in alle Ritzen und entfernt noch die kleinsten Verschmutzungen. Sobald die winzigen Schneeflocken auf die relativ warme Oberfläche treffen, werden sie gasförmig. Dabei dehnt sich ihr Volumen explosionsartig um das 800-fache aus. Der Detonationsdruck fegt jeden Schmutz restlos weg. Sogar Fingerabdrücke lassen sich so entfernen. »Die CO2-Schneestrahl-Reinigung ist ein trockenes Verfahren, das Oberflächen nicht aufquellen lässt«, erläutert Gommel den Vorteil dieser Methode. Je nach Beschaffenheit der Bauteile kombinieren die Forscher das Verfahren mit anderen Varianten wie der Plasma- oder der Wisch- und Spülreinigung. Der Reinraum ist bereits in Betrieb, die Experten vom IPA optimieren und rüsten ihn laufend mit angepasster Reinheits- und Reinigungstechnik weiter auf, optimieren den Materialfluss und beraten die ESA im Hinblick auf Betriebskosten. Neben der ESA nutzen weitere nationale Einrichtungen wie Thales Alenia Space Italy, ein italienisches Raumfahrtunternehmen, den Raum für ihre Weltraummissionen. Auch andere Weltraumbehörden wie die NASA lassen sich von Gommel und seinem Team beraten. »Wir sind ein gefragter und anerkannter Kooperationspartner für diesen Forschungsschwerpunkt«, sagt der Ingenieur. Der Stuttgarter Wissenschaftler sitzt in den jeweiligen Gremien, die für die Standardisierung von Reinigungsmethoden zuständig sind. Gommel ist sowohl für die ISO tätig, die International Organization for Standardization, als auch für die ECSS, der European Cooperation for Space Standardization. Wenn es um die Rolle des IPA in der Luft- und Raumfahrt geht, spricht Gommel gerne vom »Hidden Champion«. Denn Hidden Champion steht nicht nur für einen heimlichen Gewinner, sondern auch für einen unbekannten Weltmarktführer.
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