Mehr Produktsicherheit für sensible Arzneimittel
Trendbericht: Primärverpackungen
Die Pharma- und Biotechnologieindustrie wachsen dynamisch und ihre Unternehmen entwickeln zahlreiche neue Präparate für Diagnostik und Therapie; alleine 49 Medikamente, die 2014 auf den deutschen Markt kamen, basieren auf neuen Wirkstoffen. Diese erfordern begleitend zu innovativen Entwicklungs- und Herstellungsverfahren auch eine Weiterentwicklung der Verpackungen. Insbesondere Primärpackmittel, die unmittelbar mit den Inhaltsstoffen der Präparate in Verbindung kommen, spielen für die Produktsicherheit eine zentrale Rolle. Erste Hersteller versuchen bereits, bei der Entwicklung von Primärverpackungen und der Kontrolle von Abfüllprozessen neue Möglichkeiten der Qualitätssicherung zu etablieren. Einen wichtigen Trend bilden auch „intelligente“ Verpackungen, die Zusatzfunktionen übernehmen, etwa fertig gefüllte Einwegspritzen oder Verpackungen mit integrierten Qualitätsdetektoren und Einnahmehilfen. Auf der ACHEMA 2015 präsentierten die Aussteller in Halle 3, im Forum und im Pavillon Agora ihre Neuheiten im Bereich Pharmaverpackungen.
Schutz für hochwertige Inhaltsstoffe und Formulierungen, Qualitätssicherung und uneingeschränkte Funktionalität stehen bei der Auswahl von Packmitteln für Arzneimittel an erster Stelle. Dies gilt auch für die wachsende Vielfalt an Biopharmazeutika, die nach aufwändigen Methoden hergestellt und in Anwendungsfeldern wie der Krebsbekämpfung eingesetzt werden. Darüber hinaus müssen Verpackungshersteller für pharmazeutische Präparate zahlreiche gesetzliche Richtlinien zu Fälschungssicherheit und Rückverfolgung einhalten. Ebenfalls zu berücksichtigen sind äußere Einflüsse bei Transport und Lagerung, darunter Temperatur, Lichteinwirkung, Erschütterung oder Gefahren für eine Kontamination. So hat die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AKM) im Jahr 2014 allein in Deutschland insgesamt 8832 Spontanberichte zu Qualitätsmängeln und unerwünschten Wirkungen erhalten. Laut Angaben des Verbands handelte es sich dabei in 41,6 Prozent der Fälle um Verpackungsfehler, in 12,5 Prozent um mechanische Defekte sowie in 3,1 Prozent um Minderwirkung mit Verdacht auf Qualitätsmangel. Höhere Anforderungen an die Verpackungen stellen auch neue EU-Verordnungen, die neben Sicherheitsmerkmalen wie Seriennummern und Siegeln einen zusätzlichen Öffnungsschutz vorsehen. Dieser soll Anwendern und Patienten auf den ersten Blick zeigen, ob eine Verpackung bereits geöffnet wurde oder nicht.
Anspruchsvoll: Proteine
Ein hohes Risiko für Qualitätsverlust besteht vor allem bei proteinhaltigen Medikamenten, da Proteine zur Entfaltung an Grenzflächen neigen und sowohl mit Glas als auch mit Kunststoff, Gummi oder Silikonkomponenten interagieren können. Die Folge kann sein, dass geringe Mengen der in der Formulierung enthaltenen Proteine durch Verpackungsmaterialien adsorbiert werden und damit die Wirksamkeit von Medikamenten vermindern oder verändern. Dieser Vorgang kann vor allem bei niedrig dosierten Wirkstoffen ein Qualitätsproblem darstellen. Auch thermische und mechanische Einflüsse bei Transport, Lagerung und Zubereitung können die Stabilität von Proteinen maßgeblich beeinträchtigen.
Viele innovative Biotech-Medikamente kommen als Injektionen auf den Markt, die bereits in passender Konzentration und Menge in vorgefüllten Spritzen erhältlich sind. Insbesondere für Proteinarzneistoffe ist die parenterale Gabe aufgrund der Molekularstruktur nach wie vor unverzichtbar. Wie die Erfahrung vieler Hersteller und Anwender zeigt, geraten jedoch vor allem die in Fertigspritzen gelagerten Arzneimittel mit mehr Materialien in Kontakt als in anderen Packmittelformen. Hinzu kommt, dass flüssige Arzneien eine höhere Wahrscheinlichkeit mitbringen, Wechselwirkungen mit Materialien aus den Primärverpackungen einzugehen als pulverförmige oder feste Inhaltsstoffe. Prinzipiell können flüssige Zubereitungen eher bedenkliche Substanzen aus Primärverpackungen lösen, als Pulver oder Tabletten. Wie der Fall des im Jahr 2001 zeitweise vom Markt genommenen Medikaments Eprex® zeigt, können solche Interaktionen folgenschwere Konsequenzen haben. Hier ergab die Analyse, dass der von einem der Hersteller verwendete Stabilisator Polysorbat 80 während der Lagerung organische Bestandteile aus dem unbeschichteten Spritzenstopfen gelöst hatte. Die Folge war eine Präzipitation und Mizellbildung des Präparats, die teilweise schwere immunologische Reaktionen bei den Patienten verursachte.
Neue Darreichungsformen
Wirkstoffe in herkömmlichen Spritzen kommen mit allen Komponenten aus Glas, Kunststoff, Metall, Klebstoff und dem Gleitmittel Silikonöl in Berührung. Mit einem neuen Design reduziert der Hersteller Schott mögliche Wechselwirkungen zwischen Inhaltsstoff und Primärverpackung. Damit sollen ähnlich sichere Bedingungen für sensible Wirkstoffe wie in Pharmafläschchen entstehen. Bei den neuartigen Spritzen wird der Verbindungskanal zwischen Konus und Nadel aus flexiblem Kunststoff gefertigt. Ein Verschluss hält den Flüssigkeitsdurchgang während der Lagerung geschlossen. Somit kann das Arzneimittel während Transport und Lagerung weder mit der Metallnadel noch mit dem Klebstoff der Spritze in Kontakt kommen. Eine zusätzliche Qualitätssicherung soll der Originalitätsverschluss der Spritze bieten, der Anwendern auf den ersten Blick zeigt, ob die Spritze neu ist oder bereits verwendet wurde.
Der Einfallsreichtum der Entwickler kennt kaum Grenzen: Für Kinder und ältere Patienten hat eine Tochterfirma von Harro Höfliger einen Trinkhalm entwickelt, der den Wirkstoff, der verabreicht werden soll, in Form von Pellets enthält. Der Patient kann das Medikament so mit seinem Lieblingsgetränk aufnehmen. Die genaue Dosierung und ein Kontrollfilter sorgen dafür, dass die korrekte Dosis eingenommen wird.
Integration und Flexibilität vom Prozess bis zur Abfüllung
Die großen Trends der Prozessindustrie machen auch vor dem Packaging nicht halt. Lösungen statt Produkte heißt das Stichwort. Die Grundlage dafür: Die Hersteller müssen ein breites Portfolio an Technologien über möglichst weite Teile der Wertschöpfungskette anbieten.
Eine Reihe von Akquisitionen und Kooperationen in den letzten Monaten belegen die Tendenz, alles aus einer Hand anzubieten: So übernahm Romaco das Unternehmen Innojet Herbert Hüttlin, um die gesamte Engineering-Prozesskette zur Herstellung und Verpackung von pharmazeutischen Feststoffen abbilden zu können. Bosch Packaging kündigte im Dezember 2014 den Aufbau eines Joint Ventures mit Klenzaids an, um besonders den indischen Markt mit kompletten Linien bedienen zu können. Bosch Packaging bietet von der Prozesswasseraufbereitung über die Fermentationsanlage bis zur Abfüllung, Verpackung und Qualitätskontrolle alles aus einer Hand, Klenzaid ist Spezialist für Reinraum- und Prozesstechnik.
Ein zweiter wichtiger Trend; Modularisierung und Flexibilität. Besonders Generika-Hersteller und Auftragsproduzenten müssen ihre Linien auch für kleine Chargen mit minimalen Umrüstzeiten und gleichzeitig sicher auf das jeweilige Produkt einstellen können. Die Hersteller bieten deshalb Linien an, die sich nach Bedarf erweitern oder neu kombinieren lassen und so ein weites Spektrum an Anwendungen bedienen. Das gilt nicht nur für die Hardware, auch die Software muss mitspielen. Der Spezialmaschinenhersteller Groninger beispielsweise entwickelt dafür Benutzeroberflächen, die die Qualitätskontrolle über den gesamten Prozess ermöglichen – und das für durchschnittlich zwischen 25 und 100 hinterlegte Rezepturen.
Qualitätskontrolle im Prozess und danach
Ein neuartiges Verfahren zur Verpackungsinspektion während der Induktionsversiegelung von Pharmabehältnissen bietet das Unternehmen DIR Technologies. Das System führt während des Versiegelungsprozesses eine Dichtungsinspektion und Füllstandmessung bei 100 Prozent der pharmazeutischen Füllbehälter wie Flaschen, Taschen oder Beutel durch und verspricht damit eine neue Stufe der Qualitätssicherung. Die Echtzeitprüfung erfolgt nicht-invasiv mittels hochempfindlicher Wärmebildtechnologie in der Kappe der Behältnisse. Damit können künftig Defekte während der Induktionsversiegelung präzise lokalisiert und gezielter behoben werden. Das Verfahren ermöglicht nach Angaben des Herstellers einen hohen Durchsatz ohne Produktionsverlangsamung.
Mit dem Verpackungsdesign „Self Expiring“ führte ein Entwicklerteam aus Singapur einen Medikamentenblister ein, der die Nutzer automatisch auf das Ablaufdatum von Medikamenten hinweisen kann. Das Prinzip: Der Blister wird aus einem mehrlagigen Kunststoffverbund gefertigt, der in der untersten Lage mit aufgebrachten Verbotskreuzen ausgestattet ist. Die äußere Lage zeigt Basisinformationen, beispielsweise das Markenzeichen des Herstellers. Ist das Verfallsdatum überschritten, zerfällt das diffusionsfähige Material im Zwischenraum der Schichten, sodass die Warnkreuze sichtbar werden. Die Entwicklung wurde bereits mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet. Das System und könnte sich unter anderem für ältere Patienten bewähren, die das klein aufgedruckte Verfallsdatum auf Verpackungen nicht lesen können.
Ein weiteres Novum wurde 2014 auf der Fachmesse für gedruckte Elektronik „Lopec“ präsentiert: eine Verpackung mit integrierten Temperatursensoren aus Nanomaterialien, die Patienten an die Einnahme ihres Medikaments erinnern soll.
DECHEMA Ausstellungs-GmbH
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