- F+E & Interessengemeinschaft
Klaus Jacob
Rein ins All
Geschäftsfeld Elektronik und Mikrosystemtechnik
Bauteile, die bei einer Weltraum-Mission eingesetzt werden, müssen penibel gereinigt sein. Das Fraunhoher IPA hat sich hier innerhalb weniger Jahre einen Namen gemacht – vor allem, weil es nicht nur reinigt, sondern auch exakte Aussagen über die Qualität seiner Arbeit machen kann. Dafür stehen dem Stuttgarter Institut hochpräzise Analyse-Geräte zur Verfügung. Zudem verfügt es über die aufwendigsten Reinräume weltweit.
Alles begann mit einer überraschenden Anfrage. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA wollte wissen, ob das Fraunhofer IPA in der Lage sei, verschiedene Bauteile einer Mars-Mission zu sterilisieren. Udo Gommel, der Leiter des zuständigen Geschäftsfeldes »Elektronik und Mikrosystemtechnik«, rechnete sich keine großen Chancen aus, diese anspruchsvolle Aufgabe anpacken zu können. Denn er war nicht der Einzige, der gefragt wurde. Außerdem konnte er keinerlei Erfahrungen in der Luft- und Raumfahrt vorweisen. »Ich dachte, als Produktionstechniker fliege ich gleich wieder raus«, erinnert er sich. Immerhin kannte er sich mit dem Reinigen filigraner elektronischer Bauteile aus, etwa in den Bereichen Halbleiterindustrie oder Medizintechnik. Zudem konnte er mit einem der besten Reinraumlabore weltweit punkten. Und das gab letztlich den Ausschlag: Er bekam den Job. Das war vor sieben Jahren. Inzwischen ist die Luft- und Raumfahrt zu einem festen Standbein in seinem Geschäftsfeld geworden. Derzeit laufen rund 20 Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. »Wenn man einmal in der Branche Fuß gefasst hat, wird man herumgereicht«, sagt Gommel. Immer wenn es um besonders schwierige Fragestellungen geht, wenn kommerzielle Lösungen nicht greifen und Forschung gefragt ist, sind die Stuttgarter im Rennen.
Sicherheit hat höchste Priorität
In der Luft- und Raumfahrt hat die Sicherheit höchste Priorität, denn es geht um Menschenleben – und um viel Geld. Stürzt ein Flugzeug ab, sterben gleich Hunderte Passagiere. Und eine Weltraum-Mission kostet oft so viel wie ein ganzer Wolkenkratzer. Da sich eine unbemannte Raumsonde, einmal gestartet, nicht mehr reparieren lässt, kann schon das Versagen eines Cent-Bauteils zum GAU führen. Dann waren alle Anstrengungen umsonst und die Wissenschaftler müssen viele Jahre auf eine Ersatzmission warten. »Failure is not an option«, heißt es deshalb in der Luft- und Raumfahrt. Kein Bauteil, kein Aggregat darf versagen. Verschmutzungen spielen dabei eine ganz besondere Rolle. Denn Schmutz ist Gift für alle Materialien: Er kann die Mechanik blockieren, einen Kurzschluss verursachen oder die Elektronik stören. Besonders heikel wird es, wenn es sich um eine Sonde handelt, die Spuren von Leben auf einem fremden Planeten suchen soll. Genau darum geht es bei der europäischen Mars-Mission »ExoMars«, mit der sich die Stuttgarter noch immer befassen. Im Jahr 2018 soll »ExoMars« starten. Eine Landefähre wird dann auf dem Nachbarplanet aufsetzen und ein Gefährt von der Größe eines Smart losschicken. Damit seine Sensoren, die nach Leben suchen, zuverlässig arbeiten können, darf er kein organisches Material von der Erde einschleppen. Sonst geht es ihm wie seinem amerikanischen Vorgänger »Curiosity«, der 2012 einen Erfolg meldete. Die Experten analysierten die gefundenen Substanzen monatelang mit bordeigenen Mitteln – bis sie zu dem Schluss kamen, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte: Die Geräte hatten irdische Kontaminationen detektiert. Um solche Pannen zu verhindern, müssen alle Bauteile absolut keimfrei sein. Nicht einmal Reste toter Mikroben dürfen in Ritzen kleben. Auch aus ökologischen Gründen ist solche Pedanterie inzwischen fester Bestandteil der Raumfahrt. Institutionen wie die ESA und die NASA haben sich im »Planetary Protection Program« dazu verpflichtet, keine Keime von der Erde auf andere Planeten einzuschleppen. Außerdem müssen sie Vorsorge treffen, dass keine riskanten Substanzen von fremden Welten zur Erde gelangen – falls ein Rückflug geplant ist. Euphorische Szenen wie 1969 wären heute undenkbar. Damals wurden die ersten Mondfahrer, kaum zurück, von vielen begeisterten Menschen umarmt. Und sie überreichten dem damaligen Präsidenten Richard Nixon ein Köfferchen mit Mondgestein. Inzwischen gibt es einen speziellen »Planeten-Sicherheits-Beauftragten«, der aufpasst, dass so etwas nicht mehr passiert und alle Regeln eingehalten werden. In Stuttgart ist er oft zu Gast.
Der reinste Reinraum der Welt
Um den Mars-Rover zuverlässig sterilisieren zu können, haben die Stuttgarter Experten für die ESA einen Reinraum konzipiert und im niederländischen Noordwijk, dem Sitz des Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrums (ESTEC), eingerichtet. Denn eine sichere Reinigung ist nur in einem Reinraum möglich, sonst würden die unzähligen Staubpartikel, die in der Luft schweben, sofort wieder für eine Kontamination sorgen. Der aufwendigste Reinraum weltweit befindet sich am Fraunhofer IPA. Er genügt den höchsten Reinheitsanforderungen, der ISO-Klasse 1. Das bedeutet, dass ein Kubikmeter Luft nicht mehr als 10 Partikel von 0,1 Mikrometer Größe enthalten darf. In einem Raum der ISO-Klasse 9, einem Reinraum von vergleichsweise schlechter Qualität, wären es 109 Partikel, also eine Milliarde Mal so viele. In normaler Stadtluft schwirren rund 1013 Partikel in jedem Kubikmeter, bei Smog noch mehr. Um die höchste Reinheitsstufe einhalten zu können, muss man einen hohen Aufwand treiben. Das merkt der Besucher schon, wenn er das IPA-Gebäude betritt: Gleich hinter der Tür versperrt ihm ein kniehoher Bord den Weg. Bevor er ihn übersteigt, muss er Plastik-Überschuhe anziehen. An Rauchen ist im ganzen Gebäude nicht zu denken. Diese Vorkehrungen verringern die Partikelzahl allerdings nur um den Faktor 10.
Die eigentlichen Reinräume, nur über Schleusen zu betreten, sind hermetisch abgeschlossen: eine Art Haus im Haus. Man sieht die Wissenschaftler in ihren sterilen Anzügen hinter hohen Glaswänden hantieren. Im Inneren herrscht ein leichter Überdruck, damit keine ungefilterte Luft eindringen kann. Zudem sorgt eine laminare Luftströmung, die von der Decke zum Boden führt, dafür, dass kein Staubkörnchen im Raum bleibt. Bei einer Strömungsgeschwindigkeit von 50 Zentimetern pro Sekunde wird die gesamte Raumluft innerhalb weniger Sekunden ausgetauscht. Partikel, die etwa entstehen, wenn ein Wissenschaftler seine Handschuhe aneinander reibt, verschwinden im Nu im perforierten Boden. Damit es keine Verwirbelungen gibt, was den Luftaustausch stören würde, haben die Ingenieure auf einen Deckenkran verzichtet. Die gesamte Decke ist mit Filterelementen belegt. Und der Boden ist aufgeständert, um die Luft sauber absaugen zu können. In diesem ultrareinen Umfeld kann man sogar messen, wie viel Abrieb beim Bewegen eines Roboterarms oder eines Kabels entsteht. Ähnliche Anlagen der ISO-Klasse 1 gibt es weltweit nur in Holland und Rumänien. Beide wurden von IPA-Experten konzipiert. Die Stuttgarter Reinräume sind allerdings die größten. Der imposanteste hat eine Höhe von 6,50 Metern. Sein aufgeständerter Boden kann eine Last von 6 Tonnen pro Quadratmeter tragen, was ihn einzigartig auf der Welt macht.
Kohlendioxid-Schnee und Ultraschallverfahren
Für das Sterilisieren des Mars-Rovers hat sich ein Verfahren bewährt, das am Fraunhofer IPA entwickelt und zum Patent angemeldet wurde. Eigentlich handelt es sich um eine Weiterentwicklung. Denn ursprünglich wurde das Verfahren in den USA angewandt, um den Lack von Flugzeugrümpfen zu entfernen. Ein harter Strahl aus reiskorngroßen Kristallen von gefrorenem Kohlendioxid sprengt dabei die Farbe regelrecht vom Metall ab. Die Stuttgarter haben das grobe Instrument stark verfeinert. Anstatt Eiskristallen verwenden sie Kohlendioxid-Schnee. Der Clou: Der Strahl, der aus der Düse kommt, wird mit einem umhüllenden Stickstoffstrahl zusätzlich beschleunigt. So dringt er in alle Ritzen und entfernt noch die kleinsten Verschmutzungen. Sobald die winzigen Schneeflocken auf die relativ warme Oberfläche treffen, werden sie gasförmig, wobei sich ihr Volumen explosionsartig um das 800-fache ausdehnt. Der Detonationsdruck fegt jeden Schmutz restlos weg, sogar Fingerabdrücke, die das kalte Gas zuvor spröde gemacht hat. Der einzige Nachteil: Kohlendioxid ist teuer. Für 1000 Euro bekommt man gerade 30 Kilogramm – und die sind schon nach zehn Minuten verpufft. Das Fraunhofer IPA hat deshalb eine Aufbereitungsanlage installiert, die allein 800000 Euro gekostet hat.
Der Kohlendioxid-Beschuss ist nur eine von vielen Möglichkeiten, um industrielle Bauteile zu reinigen. Es gibt rund drei Dutzend weitere Verfahren, in deren Weiterentwicklung das Fraunhofer IPA derzeit kräftig investiert. Das reicht von der Wisch- oder Spül- bis zur Plasmareinigung. Manche Verfahren wie das Ultraschallverfahren sind auf ein feuchtes oder flüssiges Milieu angewiesen. Sie eignen sich deshalb nicht für elektronische oder elektrische Komponenten. Andere wie das Kohlendioxidverfahren arbeiten trocken – und damit besonders schonend. Es gibt Grob- und Feinreinigungen, Vor- und Endreinigungen. Welche Verfahren letztlich zum Einsatz kommen, liegt an den jeweiligen Anforderungen an die Reinheit und an der Art des Bauteils. Die höchsten Ansprüche stellt die Halbleiterindustrie, die damit zum Schrittmacher für die Reinigungstechnologie geworden ist. Denn die Strukturen auf den Chips sind inzwischen so winzig, dass schon ein Partikel von wenigen Nanometern einen Kurzschluss verursachen kann. In der Automobilindustrie geht es weniger streng zu. Hier gelten erst Partikel ab einer Größe von 200 Mikrometern als kritisch, wobei vor allem metallische Kontaminationen Sorgen bereiten. Die Raumfahrt liegt etwa dazwischen. Ihr Anspruch liegt im Allgemeinen bei Partikelgrößen von einem Mikrometer.
Millionen-Euro-Bauteil: Reinigung in Rekordzeit
Allerdings geht es in der Raumfahrt in anderer Hinsicht besonders penibel zu. Hier wird jedes Bauteil einzeln bearbeitet, vom Aluminiumrahmen bis zum Unterlegscheibchen. Fließbandarbeit kann man in diesem Metier vergessen. Jeder Bearbeitungsschritt wird penibel dokumentiert. Dabei sollen zukünftig NFC-Tags helfen. Sie speichern Informationen zum Bearbeitungsstatus jedes einzelnen Bauteils. Damit lässt sich selbst der Werdegang einer kleinen Schraube von der Fertigung bis zur Endmontage rekonstruieren. Nur so ist es möglich, bei einem Störfall die Ursache zu finden. Mit der Reinigung der einzelnen Komponenten ist es freilich nicht getan. Danach müssen sie verpackt werden, um nicht gleich wieder zu verschmutzen. Das klingt banal, ist aber ebenfalls sehr anspruchsvoll. Denn vom Verpackungsmaterial könnten sich Partikel lösen und für eine neuerliche Kontamination sorgen. Am besten bewährt haben sich Edelstahlbehälter, die speziell angefertigt werden. In ihnen schlummern die Bauteile manchmal jahrelang, bis ein Satellit endlich abheben kann.
Wie viel Aufwand die Experten bei der Reinigung treiben müssen, konnte man im letzten November sehen. Das Fraunhofer IPA sollte sämtliche 13000 Teile eines Erdbeobachtungs-Satelliten reinigen. Das größte war ein Aluminiumsegment, das in monatelanger Arbeit aus einem massiven Block von 4 Zentnern Gewicht herausgefräst worden war. Bei der Reinigung dieser filigranen Struktur musste mit großer Sorgfalt vorgegangen werden, um auch nur die kleinste Beschädigung zu vermeiden. Allein diese Aluminiumstruktur hat die Mitarbeiter des Instituts viel Mühe gekostet. Für die Vorreinigung des schweren Bauteils hätte die Reinraum-Filterdecke für die Nutzung eines Deckenkrans aufgerissen werden müssen. Eine optimale Luftströmung wäre dann jedoch nicht mehr gewährleistet. Abhilfe schaffte eine provisorische Dekontaminationszelle, die sowohl höchste Sauberkeitsanforderungen als auch die Lastproblematik erfüllte. Eile war geboten, um den engen Zeitplan des Projekts nicht zu gefährden. Innerhalb einer Woche wurde der temporäre Reinraum von der Größe eines kleinen Wohnhauses realisiert.
Das breite Leistungsportfolio des Fraunhofer IPA ermöglicht sogar bei Bedarf weitere Bearbeitungsschritte vor Ort, wie beispielsweise das Lackieren. Damit entfällt der Transport und die Gefahr einer erneuten Kontamination auf diesem Weg wird damit ausgeschlossen. Viel Aufwand ist auch nötig, wenn die Qualität eines Reinigungsverfahrens beurteilt werden soll. Wenn es um Partikel im Mikro- oder Nanometerbereich geht, und man auch noch deren genaue Zahl wissen möchte, sind hochpräzise Geräte gefragt. Das Fraunhofer IPA scheut hier keinen Aufwand. Ein vollautomatisches Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop kann noch nanometerkleine Partikel aufspüren. Von einem handygroßen Bauteil kann es die gesamte Oberfläche abscannen und die Partikel zählen, die darauf haften. Auch ein Rasterkraftmikroskop steht in Stuttgart, das die Oberflächen mit einer feinen Nadel abtastet. Und ein Thermodesorptions-Gaschromatograph mit Massenspektrometriekopplung findet noch die geringsten Spuren organischer Verunreinigungen.
Praxisnahe Standards etablieren
Nur mit diesem Aufwand ist es möglich, das optimale Reinigungsverfahren für bestimmte Anwendungen zu finden und verschiedene Reinigungsverfahren miteinander zu vergleichen. Deshalb sitzen die Stuttgarter Wissenschaftler in den jeweiligen Gremien, die für die Standardisierung von Reinigungsmethoden zuständig sind. Gommel ist sowohl für die ISO tätig, die International Organization for Standardization, als auch für die ECSS, der European Cooperation on Space Standardization. Hier sitzt er in der Arbeitsgruppe »Cleaning«, dort leitet er das Richtlinienblatt »Ultrapräzisionsreinigung von Flug-Hardware«.
Über die Reinigung hinaus kann das Fraunhofer IPA auch in vielen weiteren wichtigen Gebieten wie beispielsweise dem Energiemanagement unterstützen. Eine zuverlässige Energieversorgung ist für den Ausgang einer Mission ausschlaggebend. Jüngstes Beispiel ist hier der Signalverlust zum Mini-Labor »Philae«, als diesem kurz nach der Landung auf dem Kometen »Tschuri« der Strom ausging.
Wenn es um die Rolle des Fraunhofer IPA in der Luft- und Raumfahrt geht, spricht Gommel gerne vom »Hidden Champion«. So habe er sich gefühlt, als die ESA ihn vor sieben Jahren der versammelten Konkurrenz vorzog. Das gilt wohl noch immer. Denn Hidden Champion steht nicht nur für einen heimlichen Gewinner, sondern auch für einen unbekannten Weltmarktführer.
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
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