Wie allgemein ist die Allgemeine Relativitätstheorie
Egal ob Feder, Apfel oder Ziegelstein: Im Vakuum, wenn es keine Reibung mehr gibt und nur noch die Gravitation wirkt, fallen alle Körper gleich schnell. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, konkret das Äquivalenzprinzip, sagt dies voraus und es entspricht dem aktuellen Weltbild der Physik. Und doch gibt es Zweifel – zumindest, was die Extrema angeht. Weltraumexperimente mit Quantensensoren sollen nun Klarheit bringen.
„Auf der Größenskala von Galaxien erklären die Gesetze der Gravitation nicht, warum sich das Universum so entwickelt hat, wie wir es kennen“, sagt Andreas Wicht, Leiter der Arbeitsgruppe Lasermetrologie am Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH). „Und für die mikroskopische Ebene, unterhalb von hundert Mikrometern, gibt es gar keine experimentelle Überprüfung der Gültigkeit des Gravitationsgesetzes, so wie wir es kennen.“
Die Gültigkeit des Äquivalenzprinzips auf atomarer Ebene zu überprüfen ist Ziel des Gemeinschaftsprojektes QUANTUS III, an dem die Universitäten Hannover, Hamburg, Ulm, Mainz, Darmstadt, Bremen und die HU-Berlin sowie das FBH beteiligt sind. „Konkret fragen wir uns: Fallen Rubidiumatome genau so schnell wie Kaliumatome?“ Andreas Wicht entwickelt mit seinem Team am FBH die Laser-Technologieplattform für ein sogenanntes Atom-Interferometer, einen Quantensensor, der demnächst im Weltraum zum Einsatz kommen soll.
Bereits seit den späten 1980er-Jahren werden „Atom-Fall-Experimente“ im Labormaßstab durchgeführt. Doch die vermuteten Unterschiede in den Fallgeschwindigkeiten sind so minimal – sie liegen bestenfalls in der zehnten Nachkommastelle –, dass für ausreichend empfindliche Messungen sehr lange Messzeiten nötig sind. Nur im Weltraum können sie erreicht werden. Doch dafür sind die rund 2 x 2 Meter großen Messtische viel zu unhandlich. Seit Mitte der 1990er-Jahre fördert das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) deshalb Experimente und entsprechende Technologien. So wurden bereits Experimente am Bremer Fallturm realisiert, der mit einer Höhe von gut 100 Metern in einer Vakuumröhre vier Sekunden freien Fall ermöglicht. „Hier ließ sich zeigen, dass das Experiment prinzipiell funktioniert. Aber die Messzeit ist immer noch viel zu kurz.“
Wie funktioniert das „Fall-Experiment“? „Die Atome fungieren quasi als Sensoren“, erklärt Wicht. In Schwerelosigkeit befinden sich die Atome samt der Messeinrichtung quasi im freien Fall. Zuerst wird die thermische Bewegung der Atome der beiden Atomsorten mit Lichtimpulsen bestimmter Frequenz soweit abgebremst, dass die Atome quasi stillstehen, weil sie fast bis auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. Mit weiteren Laserpulsen werden die Atome nun so manipuliert, dass sie sich in speziellen, nur mit Mitteln der Quantenphysik beschreibbaren Zuständen befinden, weshalb sie auch als quantenoptische Sensoren bezeichnet werden. Die Wirkung der Laserpulse und damit das Messergebnis des quantenoptischen Sensors hängt aber sehr empfindlich von Frequenz und Phase der Lichtpulse ab. Würden nun die Atome dieser beiden Sorten verschieden beschleunigt, müssten Frequenz und Phase der Laserpulse für beide Sorten unterschiedlich an den Dopplereffekt angepasst werden, der aus dieser unterschiedlichen Beschleunigung resultiert. „Diesen Unterschied, falls es ihn gibt, gilt es zu messen“, erklärt Wicht.
Am FBH wurde der „Werkzeugsatz aus Licht“ dafür entwickelt, eine Art synchronisierte Lichtorgel aus verschiedenen spektral schmalbandigen Diodenlasern, Mikrospiegeln und anderen miniaturisierten optischen Komponenten. „Wir können zwei dieser Chips auf einem keramischen Grundkörper integrieren. Um sie herum werden die Mikro-Optiken aufgebaut“, erzählt Wicht. „Das komplette Lasersystem wird aus sechs oder acht solcher Module bestehen und vom Volumen her etwa 1000-mal kleiner sein als ein herkömmliches Produkt.“ Es wird hermetisch verschlossen, lediglich der Lichtwellenleiter, der zur Versuchskammer führt, ragt heraus.
Im Bremer Fallturm hat das System bereits seine Raketentauglichkeit bewiesen. Im April 2015 sollen Experimente auf einer Höhenflugrakete, die auf etwa 100 Kilometer aufsteigt, folgen. Bis zum Wiedereintritt in die Erdatmosphäre bleibt ein Zeitfenster von sechs Minuten Schwerelosigkeit für das Experiment. Später sollen derartige Experimente auf einem Satelliten oder der Raumstation ISS durchgeführt werden.
Ein ziemlich großer Aufwand, nur um Einstein zu widerlegen, oder nicht? Andreas Wicht lacht. „Könnte man meinen. Aber als das GPS entwickelt wurde, hätte man auch nie gedacht, dass es heute in jedem Smartphone zur Verfügung steht. Und so wird, jenseits des Atom-Experiments, die Technologie der Quantensensoren vielleicht keine alltägliche, aber doch zumindest spezielle technische Anwendung finden.“ Neben Geschwindigkeits- und Beschleunigungsmessungen lassen sich damit zum Beispiel Dichtemessungen und sehr genaue Ortsbestimmungen auf der Erde durchführen.
Die britische Regierung investierte kürzlich 270 Millionen Pfund in die Kommerzialisierung von Quantensensoren. Während heute zur exakten Ortsbestimmung Zugang zu einem GPS-Satelliten nötig ist, der ausfallen könnte, navigieren Quantensensoren GPS-frei, brauchen lediglich einen bekannten Ort als Bezugspunkt. Anders als das GPS funktioniert diese auch in der Tiefe der Ozeane von U-Booten aus. „Das zweite große Einsatzgebiet wird die Exploration sein“, ergänzt Wicht. Über Erzlager „fallen“ die Atome im Sensor schneller als über normalem Gestein. Erdöllager und Grundwasserspiegel können ebenfalls ausgelotet werden.
Großbritannien investiert, die USA planen Experimente auf der ISS – und was macht Deutschland? Der Programmausschuss Optische Technologien identifizierte zwar im Rahmen der Agenda Photonik 2020 für das BMBF die Quantensensorik als aussichtsreiche Zukunftstechnologie. „Aber das ist Papier“, sagt Wicht. „Was wir am Ende brauchen ist Geld für weitere Forschung, eine politische Entscheidung.“ Noch stünde man relativ gut da, weil das DLR diese Arbeiten fördert. „Doch wir müssen aufpassen, dass wir unsere gute Position nicht verlieren.“
Der Kommerz steht für Grundlagenforscher wie Andreas Wicht nicht im Vordergrund. Ihnen geht es um die pure Physik. Albert Einstein hätte es wohl amüsiert, dass die Erde nicht ausreicht, um die Grenzen seiner genialen Ideen zu erfassen.
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