- F+E & Interessengemeinschaft
Guido Kreck, Yvonne Holzapfel
Reinheitsvalidierung von Medizinprodukten
Auf dem Weg zu einem branchenspezifischen Regelwerk
In einer ständig älter werdenden Gesellschaft gewinnen medizintechnische Produkte zunehmend an Bedeutung. Höchste Qualitätsanforderungen sind bei ihrer Herstellung notwendig, um deren Langlebigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit für den Anwender zu garantieren und damit den in der Regel geschwächten Patienten keinem unnötigen Risiko auszusetzen. In diesem Kontext rücken immer mehr Reinheitsaspekte in den Fokus.
Trotz des Einsatzes etablierter Reinraumtechnik können kritische Kontaminationen von Medizinprodukten nicht völlig ausgeschlossen werden. Rund ein Drittel aller Rückrufaktionen von Medizinprodukten durch die US Food and Drug Administration (FDA) zwischen 2001 und 2011 erfolgte aufgrund ungenügender Reinheit. Allein in Deutschland liegt der ökonomische Schaden durch Abstoßungsreaktionen des Körpers aufgrund unreiner Medizinprodukte wie Hüftimplantaten bei rund sieben Milliarden Euro jährlich. Damit kann der Eintrag von Verunreinigungen durch Personal, Equipment oder Prozessmedien die Sicherheit der Patienten ebenso wie die Zukunft eines Medizintechnik-Unternehmens gefährden.
Die Frage nach Reinheitsanforderungen, die maximalen Patientenschutz bieten und gleichzeitig in der Produktion einhaltbar sowie zuverlässig mit validierten Methoden überprüfbar sind, beschäftigt die Branche deshalb bereits seit längerer Zeit. Um den offenen Dialog darüber zu beginnen und den Handlungsbedarf abzuleiten, wurde am 03. Juli 2014 ein Workshop mit Experten aus Medizintechnik-Unternehmen und deren Zulieferern und Dienstleistern am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart veranstaltet (Abbildung 1).
Abbildung 1: Workshop am 03. Juli 2014 am Fraunhofer IPA in Stuttgart (a) und Zusammensetzung des Teilnehmerkreises (b)
Eine wesentliches Ergebnis der Expertendiskussion war, dass die Reinheit von Medizinprodukten viel mehr als die rein biologischen Fragestellungen umfasst: Von den Teilnehmern wurden chemische bzw. filmische Kontaminationen (29 %) sowie Partikel (27 %) in diesem Zusammengang als gleichwertige, kritische Kontaminationen genannt (Abbildung 2). Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Analysen, die nach Angabe der Teilnehmer zur Reinheitsvalidierung von Medizintechnik aktuell in den Unternehmen praktiziert werden.
Abbildung 2: Relevanz unterschiedlicher Verunreinigungen im Zusammenhang mit Medizinprodukten aus Sicht der Medizintechnik-Experten
Ein branchenspezifisches Regelwerk mit einheitlichen Methoden und Akzeptanzkriterien, v. a. zur Bewertung der partikulären sowie filmisch-chemischen Reinheit, fehlt wiederum (Abbildung 3 und Abbildung 4).
Abbildung 3: Ermittelter Handlungsbedarf im Bereich der Reinheitsvalidierung von partikulären Kontaminationen
Abbildung 4: Ermittelter Handlungsbedarf im Bereich der Reinheitsvalidierung von chemischen/filmischen Kontaminationen
Auf dem Weg zum Industrieverbund
Das Eis ist gebrochen, trotz der Brisanz der Thematik ist durch die Offenheit und Kooperationsbereitschaft der zahlreichen Teilnehmer aus unterschiedlichsten Bereichen der Medizintechnik ein zielführender Dialog ins Rollen gebracht worden.
Der Workshop hat gezeigt, dass die Teilnehmer Handlungsbedarf im Bereich der Reinheitsvalidierung von Medizinprodukten sehen. Ziel muss es nach Ansicht der Teilnehmer deshalb sein, ein verbindliches, branchenspezifisches und praxisgerechtes Regelwerk, das zukünftig auch international anerkannt ist, zu etablieren. Dazu ist die Einbindung möglichst vieler Spezialisten aus den Medizintechnik-Unternehmen und deren Zulieferer bei der Lösung der offenen Fragestellungen von Vorteil, um so durch gemeinsame Konsensbildung auf eine breite Akzeptanz zu stoßen.
In diesem Zusammenhang hat sich die Bildung eines Industrieverbunds bewährt, wie am Beispiel der »Technischen Sauberkeit« gezeigt werden kann: Hier haben sich Automobilunternehmen und deren Zulieferer zusammengeschlossen, um der Beurteilung der partikulären Sauberkeit von Bauteilen und Komponenten gemeinsam in einem Regelwerk (VDA Band 19) festzulegen.
Ähnlich diesem Vorbild wird das Fraunhofer IPA in den nächsten Wochen ein Treffen für Januar 2015 als Start für die Arbeit eines Industrieverbunds vorbereiten. Dieses offene Treffen wird allen Interessierten die Möglichkeit bieten, unverbindlich die ausgearbeitete Roadmap für die Aktivitäten des Industrieverbunds für das Jahr 2015 kennen zu lernen und gleichzeitig die spezifischen Inhalte mitzugestalten.
Bei Interesse an den detaillierten Ergebnissen und der Auswertung des Workshops sowie den nächsten Schritten auf dem Weg zum Verbund können Firmen sich per Email an Guido Kreck wenden (guido.kreck@ipa.fraunhofer.de).
Interessieerte können uns gerne weiterhin auch Ihre Meinung zum aktuellen Stand der Reinheitsvalidierung von Medizinprodukten mitteilen, indem sie online an der Umfrage „Braucht die Medizintechnik neue Ansätze zur Reinheitsvalidierung?“ teilnehmen: www.ipa.fraunhofer.de/medizintechnik
Alle Teilnehmer an der Umfrage erhalten bei Interesse eine detaillierte Auswertung.
Das Fraunhofer IPA ist seit fast 30 Jahren für alle reinheitskritischen Branchen, von der Halbleiterindustrie über die Raumfahrt bis zur Medizintechnik tätig. Diese Erfahrung bildet den Hintergrund beim Wissenstransfer rund um die kontaminationsfreie Produktion sensibler Bauteile. Für die Normierung und Standardisierung von Sauberkeit entwickeln die Reinheitsexperten belastbare Vorgehensweisen und einen zuverlässigen Rahmen für die Produktion. Ihre Expertise setzen die Reinheitsfachleute nicht zuletzt bei Dienstleistungen zur spezifischen Methodenentwicklung sowie bei Aufträgen zur Sauberkeitsanalyse ein (Abbildung 5).
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Nobelstraße 12
70569 Stuttgart
Deutschland
Telefon: +49 711 970 1667
eMail: joerg-dieter.walz@ipa.fraunhofer.de
Internet: http://www.ipa.fraunhofer.de