Experteninterview − Neue Arzneiformen auf dem Vormarsch
Vom 30. September bis 2. Oktober 2014 findet in Nürnberg die TechnoPharm, Europas führende Fachmesse für sterile Verfahrenstechnik in Pharma, Food und Kosmetik, statt. Parallel informieren renommierte Experten der Branche in über 60 Vorträgen über den Status quo der Technik. Highlights sind das Forum zur Serialisierung für Pharmahersteller, eine Vortragsreihe des Deutschen Verpackungsinstituts und ein Fachvortrag zu orodispersiblen Arzneiformen von Prof. Dr. Jörg Breitkreutz, Institutsdirektor Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie an der Universität Düsseldorf und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Pharmazeutische Verfahrenstechnik, die die Fachmesse als ideeller Träger unterstützt. Im Experteninterview gibt Breitkreutz erste Einblicke in das innovative Thema, das er in einem Vortrag am 1. Oktober 2014 um 13.30 Uhr im Fachforum der TechnoPharm vorstellt.
Was sind orodispersible Arzneiformen (ODX)?
Prof. Dr. Jörg Breitkreutz: ODX zerfallen in wenigen Sekunden in der Mundhöhle. Sie können somit ohne Flüssigkeit eingenommen werden. Die orodispersiblen Formen setzen den Wirkstoff meist schnell frei, der entweder lokal an der Mundschleimhaut wirkt, über die Mundschleimhaut direkt ins Blut gelangt oder nach dem Schlucken des arzneistoffhaltigen Speichels aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden kann.
Was ist der besondere Vorteil der Minitabletten, die Sie entwickelt haben?
Prof. Breitkreutz: Orodispersible Minitabletten sind sehr kleine Tabletten (z. B. zwei Millimeter Durchmesser), die sofort − in weniger als drei Sekunden − in der Mundhöhle zerfallen. Kleinen Kindern kann somit die Minitablette in die Backentasche gelegt werden, wo sie schnell zerfällt und den Arzneistoff freigibt. Das gefürchtete „Verschlucken“ bleibt aus. Im Gegensatz zu flüssigen Arzneiformen wie Saft oder Tropfen läuft auch nichts aus dem Mundwinkel heraus. Wie bei den flüssigen Arzneiformen kann per Minitabletten exakt und altersgerecht dosiert werden. Zusätzlich sind die meisten Arzneistoffe im festen Zustand besser haltbar.
D-Fluoretten, die im Mund von Babys schmelzen, sind bereits seit gut 15 Jahren in Deutschland zugelassen. Wieso kommt die Entwicklung von ODX erst jetzt in Schwung?
Prof. Breitkreutz: Die europäische Verordnung „Better medicines for children“ im Jahr 2007 war sicher ein Meilenstein, weil hiermit die Entwicklung kindgerechter Formen für alle neuen Wirkstoffe zur Pflicht wurde. Den orodispersiblen Tabletten hat geholfen, dass neue Hilfsstoffe auf Mannitol-Basis mit verbesserten Eigenschaften, meist als coprozessierte Fertigmischungen, in den Markt eingeführt wurden, die eine unkomplizierte Tablettierung ermöglichen. Außerdem kamen in den vergangenen Jahren einige neue Arzneimittel auf den Markt, z.B. orodispersible Filme mit verschreibungspflichtigen Inhaltsstoffen, wodurch andere Unternehmen zu eigener Entwicklung oder Line Extensions angeregt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Suche nach kostengünstigeren Herstellungsmethoden als der energie- und zeitaufwändige Lyophilisationprozess für die bereits länger eingeführten gefriergetrockneten Plättchen.
Welche besonderen Anforderungen stellen ODX an die Produktion und Verpackung?
Prof. Breitkreutz: Orodispersible Tabletten können auf normalem Equipment zur Tablettenproduktion hergestellt werden. Mittlerweile sind bei vielen Unternehmen Presswerkzeuge für Minitabletten zu erhalten. Orodispersible Filme (ODF) erfordern dagegen spezielle Fertigungsstraßen, die bisher nur bei wenigen Anbietern vorhanden sind. Die Verpackung ist bei allen ODX aufwändig, weil der Kontakt mit Luftfeuchte auszuschließen ist und häufig eine geringere mechanische Festigkeit als bei herkömmlichen Arzneiformen gegeben ist.
Welche Hürden müssen ODX in Deutschland bzw. Europa noch überwinden?
Prof. Breitkreutz: Es fehlt weltweit noch an standardisierten Arzneibuch-Monographien und klaren regulatorischen Anforderungen. Wie misst man beispielsweise den Zerfall von Minitabletten und ODFs? Und wie die mechanische Stabilität? Welche Werte sind noch akzeptabel? Bisher fehlen etablierte Testmethoden, die derzeit bei den Unternehmen eine Unsicherheit hinterlassen. Für die globale Arzneimittelentwicklung ist es ferner erforderlich, dass die europäischen Zulassungsstellen mit anderen Behörden, z.B. der FDA in den USA, einheitliche Tests und Spezifikationen vereinbaren. Dies wird einige Zeit dauern, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen und den ODX einen weiteren Schub verleihen wird.
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