Alexandra von Ascheraden
Der reinste Ort des Paul Scherrer Instituts
In den PSI-Reinräumen herrscht eine fast partikelfreie Umgebung
In den Reinräumen des Paul Scherrer Instituts PSI laufen hochempfindliche Prozesse ab. Ein einziges Staubteilchen am falschen Ort könnte fatale Folgen haben. Ein Blick hinter die Kulissen in Räume, in denen der Sauberkeit wegen sogar Bleistifte verboten sind.
Wer bei Martin Bednarzik, Gruppenleiter Technologie am PSI-Labor für Mikro- und Nanotechnologie LMN, und seiner Kollegin Anja Weber die Reinraumschulung besucht, betrachtet seine Umgebung danach unweigerlich anders. Das Labor betreibt drei Reinräume. Zwei befinden sich im Institutsteil PSI Ost, ein kleinerer direkt an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS, einer der Grossforschungsanlagen des PSI, auf der anderen Seite der Aare. «So wie das PSI seit jeher mechanische Werkstätten betreibt, um die für die Grossanlagen benötigten Komponenten herstellen zu können, braucht ein modernes Forschungszentrum auch Reinräume mit Mikrofabrikationsprozessen», erläutert Helmut Schift, Gruppenleiter Polymere Nanotechnologie.
Bevor man am PSI im Reinraum arbeiten darf, besucht man also bei Martin Bednarzik eine zweitägige Einführung. Dort erklärt er, dass ein Mensch, der sich nicht bewegt, 100'000 Partikel pro Minute abgibt, grösstenteils winzige Hautschüppchen. Beim Sport können es bis zu 10'000'000 Partikel sein. Mit Partikeln sind grundsätzlich alle Teilchen gemeint, die so klein sind, dass sie in der Luft schweben können.
Bednarzik erzählt das nicht, um Unbehagen hervorzurufen, sondern um zu erläutern, warum die Reinräume, für die er zuständig ist, so speziell sind. Ein Reinraum definiert sich über die Anzahl Teilchen, die in seiner Raumluft schweben. In einem gewöhnlichen Raum können das bis zu einer Million Partikel pro Kubikfuss sein. In den Reinräumen des PSI dürfen höchstens tausend dieser Schwebteilchen pro Kubikfuss gemessen werden. Ein Kubikfuss entspricht ungefähr 28 Litern, das ist etwa die Menge Luft im Garraum eines Mikrowellengerätes. An bestimmten Orten im Reinraum dürfen es gar nur zehn Partikel pro Kubikfuss sein. Und das, obwohl sich Menschen darin bewegen, die ja ununterbrochen Partikel abgeben.
Fusselfreier Overall
Daher lernt man in der Reinraumschulung auch, sich die speziellen Overalls samt Kopfhaube und Fussüberzügen vorschriftsmässig anzuziehen. Im Reinraum darf nicht einmal auf normalem Papier geschrieben werden. Spezielles, fusselfreies Reinraumpapier ist Vorschrift. Auch Radiergummis und Bleistifte sind verboten.
Die strengen Regeln sind nötig, weil in der Mikro- und Nanofertigung in extrem sauberer Umgebung produziert werden muss.
Schicht für Schicht werden dort aus Silizium-Wafern komplexe Strukturen herausgearbeitet (s. Kasten). Der Wafer wird dazu mit lichtempfindlichem Lack überzogen, eine spezielle teildurchlässige Schablone wird aufgelegt und das Ganze belichtet – ähnlich wie in einem klassischen Fotolabor, in dem man das Negativ einer Schwarzweiss-Fotografie über Fotopapier belichtet, um das Motiv zu übertragen. Anschliessend wird der Lack entwickelt und der Wafer geätzt. Dabei arbeitet sich die übertragene Struktur in die Tiefe des Materials hinein. Die verbleibende Lackschicht wird entfernt und der Vorgang mit weiteren Schablonen auf demselben Wafer wiederholt, bis die gewünschte Struktur fertig ist.
Auf diese Weise entstehen nanostrukturierte »Linsen» für Röntgenstrahlen hergestellt, wie man sie an der SLS einsetzt oder Komponenten für Detektoren, die am CERN neu entstandene Teilchen nachweisen.
Staub als Felsbrocken
Die für solche Bauteile benötigten hochkomplexen Strukturen sind so fein, dass ein einziges Staubkorn, das im Herstellungsprozess auf den Wafer fiele, eine Katastrophe wäre. Thomas Neiger ist einer der «Techniker für Infrastruktur» der Reinräume. Er verdeutlicht, warum die Luft im Raum so extrem sauber sein muss: «Jede noch so winzige Verunreinigung würde sich beim Bearbeitungsprozess in den Wafer hineinfressen. Ein Staubkörnchen ist ein Felsbrocken verglichen mit dem Bauteil, das produziert wird. Die Gefahr, dass in unseren Reinräumen ein Fremdkörper auf den Wafer gerät, geht statistisch gegen null.»
Um die für die Produktion nötige, fast partikelfreie Umgebung bereitzustellen, treiben die Techniker einen enormen Aufwand für die Filterung und Aufbereitung der Luft. Riesige Anlagen ziehen sich durchs ganze Gebäude. Die gereinigte, temperierte und entfeuchtete Luft wird über den Arbeitsplätzen von oben senkrecht und ohne Verwirbelungen in den Raum geleitet und durch die perforierten Arbeitstische wieder abgeführt. So können sich die wenigen verbleibenden Schwebeteilchen nicht auf den Arbeitsflächen absetzen. Die Luft im Raum wird alle zwei Minuten komplett ausgetauscht.
Wegen der aufwendigen Technik müsste jeder Reinraum im Prinzip eine Höhe von 5 bis 6 Metern haben. Einen Grossteil davon nähme die Maschinerie für die Luftaufbereitung ein. Von dieser Höhe ist man bei den PSI-Reinräumen weit entfernt. Man musste sie in bestehenden Gebäuden mit wesentlich geringerer Raumhöhe einrichten. Die Techniker griffen deshalb zu einem Trick: Ein spezieller Boden wird zweimal pro Woche mit einer klebrigen Substanz behandelt. Sie verhindert, dass die wenigen verbleibenden Partikel aufgewirbelt werden.
Alle Geräte im Reinraum laufen ununterbrochen 24 Stunden am Tag. Nur so kann eine konstante Temperatur gewährleistet werden, die für die komplizierten Herstellungsprozesse unerlässlich ist. Die Netze sind batterieunterstützt, da manche Maschinen keinen Stromausfall vertragen. «Zum Teil müssen wir sogar eigene Spannungsfrequenzen bereitstellen, denn die Hersteller von Maschinen, die wir aus den USA beziehen, kümmern sich wenig um unsere Schweizer Frequenzen», berichtet Thomas Neiger.
Wie in der Raumfahrt
«Selbstverständlich müssen wir regelmässig erklären, warum das, was wir machen, so teuer ist. Grundsätzlich kann man sagen: Wir müssen genauso zuverlässig arbeiten, wie dies in der Raumfahrt der Fall ist», meint Helmut Schift. Die Rechnung ist einfach: Der Betrieb eines Quadratmeters Reinraum kostet mindestens tausend Franken pro Jahr. «Hier ist alles eingerechnet, von den Spezialhandschuhen bis zu den Stromkosten für die Klimaanlage», erläutert Schift. «Die Unterhalts- und Grundkosten sind hoch. Dafür sind die Produktionsergebnisse stets einwandfrei und jederzeit wiederholbar. Und darauf kommt es an.»
Wafer
Die am PSI verwendeten Wafer (Englisch für «Waffel») sind runde, ca. 0,5 mm dicke Scheiben aus Silizium oder einem anderen Halbleitermaterial. Sie bilden in der Halbleiterindustrie die Basis für integrierte Schaltungen wie beispielsweise Computerchips. Am PSI werden die Wafer dagegen als perfekt reines Material für die Herstellung von Röntgenlinsen, Detektoren oder «Abformstempeln» verwendet.
Paul Scherrer Institut
5232 Villigen PSI
Schweiz