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Interview mit Dr. Kai Dirscherl zu seinem Vortag auf dem Cleanzone Kongress in Frankfurt

„Die Industrie braucht Rückführbarkeit in der Qualitätssicherung“

Dr. Kai Dirscherl
Dr. Kai Dirscherl

Rückführbarkeit setzt einheitliche Maße und zuverlässige Messmethoden voraus. Ohne sie wäre eine international vergleichbare Qualitätssicherung in der Reinraumtechnologie nicht möglich. Der Metrologe Dr. Kai Dirscherl spricht auf dem Cleanzone Kongress (22. - 23. Oktober 2013) über den Umgang mit Messunsicherheiten, über die Bedeutung von internationalen Standards und darüber, was Schafe mit seinem Forschungsgebiet zu tun haben. Im persönlichen Gespräch gibt der Wissenschaftler vorab einen Einblick in seinen Vortrag „Rückführbarkeit von Partikelgröße und -anzahlkonzentration“, den er am ersten Kongresstag in Frankfurt hält.

Herr Dr. Dirscherl, was bedeutet Rückführbarkeit?
Rückführbarkeit beschreibt in der Metrologie eine  fundamentale Eigenschaft für den Umgang mit Messwerten: Ein rückführbares Messergebnis zeichnet sich durch eine ununterbrochene Kette von Vergleichsmessungen mit jeweils bekannten Messunsicherheiten aus. Diese Messkette ist auf ein anerkanntes Normal bezogen, also auf einen Vergleichsgegenstand, ein Vergleichsmaterial oder ein Messgerät.

Sie sind Forscher und Quality Manager am Danmarks Nationale Metrologiinstitut (DFM) in Lyngby. Was ist Ihr Tätigkeitsfeld und wo kommen Sie mit der Reinraumtechnik in Berührung?
Ich arbeite seit rund sieben Jahren in mehreren Bereichen des DFM. Seit Mitte dieses Jahres liegt einer meiner Schwerpunkte auf der Koordination unseres neuen Fachbereichs für Partikelmetrologie. Dieses Thema war bisher im Fachbereich für Nanometrologie angesiedelt, wo wir Anknüpfungspunkte in der Mikro-, Telekommunikations- und Halbleiterindustrie haben. Insgesamt gewinnt das Thema der Partikelmetrologie zunehmend an Bedeutung. Gerade in der Pharmaindustrie, aber auch anderen interessanten Anwendungsfeldern, wird der Ruf nach international einheitlichen und verlässlichen Standards für die Partikelmessung und deren Dokumentation lauter. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, diesen eigenständigen Fachbereich zu gründen.

Mit welchen aktuellen Aufgaben beschäftigt sich die Metrologie im Bereich der Reinraumtechnologie?
Man sagt so schön: „Wer viel misst, misst Mist“. Dieser lockere Spruch beschreibt aber tatsächlich eine Situation, die unserer Aufmerksamkeit bedarf. Denn je kleiner die Messgrößen ausfallen und je mehr und genauer wir messen müssen, desto mehr fallen minimale Abweichungen ins Gewicht. So ist z.B. jeder Partikelzähler wie jedes andere Instrument einer Messunsicherheit unterworfen. Wir müssen also mit einer gewissen Fehlertoleranz leben und diese deshalb kennen. Weiterhin steigen die Qualitätsansprüche. So sieht sich die Industrie heute noch stärker als früher mit der Herausforderung konfrontiert, die Reinheit ihrer Produkte und Anlagen für ihre Kunden penibel zu dokumentieren. Dazu gehört nicht nur das Messen selbst, sondern auch die Kalibrierung der Geräte mitsamt dem rückgeführten Nachweis ihrer Messfähigkeit. Dafür benötigen die Unternehmen dringend Zertifikate, die allgemein anerkannt sind. Das Mutual Recognition Arrangement (CIPM MRA) von 1999 setzt hier an. Das internationale Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Messresultaten besagt, dass die unterzeichnenden Nationen die Zertifikate der jeweiligen nationalen Institute im eigenen Land akzeptieren. Damit ist ein handelspolitisch sehr bedeutsames Instrument zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse im staatlich regulierten Bereich entstanden. Die moderne Metrologie hat zur Aufgabe, die Voraussetzung für Abkommen wie diese zu schaffen. d.h. allgemeingültige Standards zu erarbeiten und geprüfte Messmethoden sowie anerkannte Zertifikate bereit zu stellen.

Was ist dabei die größte Schwierigkeit?
Die Rückführbarkeit von Messgrößen auf allgemein gültige und akzeptierte Normale ist die Grundvoraussetzung für zuverlässige Messungen und Vergleichbarkeit von Ergebnissen, Entwicklung von Normen und Standards, Sicherung der Produktqualität und nicht zuletzt das gegenseitige Anerkennen von erbrachten (Dienst-) Leistungen. Die Bereitstellung eines Primärnormals für Partikelanzahlkonzentration ist Aufgabe der nationalen Metrologieinstitute. Dies ist nicht trivial. Verschiedene Partikeltypen, etwa Verbrennungspartikel oder Bakterien, benötigen andere Messverfahren. Am DFM haben wir ein Primärnormal aufgebaut, welches die Kalibrierung von typischen Partikelzählern für Reinräume erlaubt. Verfahren für den Partikelausstoß von modernen Verbrennungsmotoren werden derzeit u.a. in internationalen Projekten gemeinsam mit mehreren nationalen Metrologieinstituten entwickelt. Wie gesagt: Messunsicherheiten sind hierbei unvermeidbar - wir müssen nur vernünftig mit ihnen umgehen und sie technologisch minimieren. Daher sehen wir es als eine der größten Herausforderungen, hierfür verlässliche Standards zu erarbeiten.

Welche Ansätze verfolgen Sie, um das Thema Messunsicherheit beherrschbar zu machen?
Wenn wir uns mit Messunsicherheiten beschäftigen, müssen wir zunächst die Messmethoden betrachten. Deren Prinzip funktioniert in der Regel für Reinraumpartikelzähler immer gleich: Die zu prüfende Luft wird eingesaugt und die Partikel darin optisch gemessen. Dafür werden sie mit Licht bestrahlt. Das dabei gestreute Licht erlaubt uns den Rückschluss auf die Anzahl und die Größe der Partikel. Messunsicherheiten bis zu zehn Prozent liegen im Normalbereich. Problematisch wird das Thema vor allem dadurch, dass die Hersteller keine Vorgaben für die Messgeräte bezüglich der zu benutzenden Wellenlänge, also Lichtfarbe, haben. Diese erzeugen unterschiedliche Streuhelligkeiten und damit unterschiedliche Ergebnisse. Dafür tragen zwar die Hersteller Rechnung, jedoch ist es für eine Vergleichbarkeit der Messergebnisse weiterhin kritisch, dass die Kalibrierung der Kundengeräte in der Regel durch die Hersteller selbst erfolgt - also systemintern. Unser Ansatz ist es, neutrale Standards für eine bessere Vergleichbarkeit zu erreichen. Ein Beispiel: Für unsere international anerkannten Zertifikate nutzen wir unsere eigenen kontrollierten Test-Aerosole und Partikelzähler als Primärnormal. In einem internationalen Vergleich mit anderen nationalen Metrologieinstituten bestätigen wir regelmäßig unsere Messfähigkeit. Damit werden die Messeergebnisse transparent und vergleichbar. Durch diese Rückführbarkeit erzeugen wir für die kalibrierten Endgeräte eine internationale Messäquivalenz wie sie etwa im MRA verlangt wird. Dies kommt letztendlich der Qualitätssicherung zugute. Unternehmen, die sich auf diese Weise von einem anerkannten Institut zertifizieren lassen können, profitieren weltweit von ihrem Standortvorteil.

Welche sind aus Ihrer Perspektive die größten zukünftigen Herausforderungen in der Reinraumtechnologie?
Bisher haben wir vor allem über leblose Partikel gesprochen, die wir nach heutigen Standards schon ganz gut beherrschen. Eine der großen zukünftigen Herausforderungen wird die Messung lebender Partikel sein. Traditionelle Partikelzähler können nicht zwischen Staub und Bakterien unterscheiden. Die Bestimmung der bakteriellen Kontamination erfolgt daher immer noch über das Zählen von Partikeln zwischen 0,5 und 5 Mikrometer, die übliche Größe von Bakterien, in Kombination mit dem Test durch Anlegen von Kulturen. Um sicher zu gehen, dass ein Produkt nicht bakteriell kontaminiert ist, muss es daher bis zu drei Tage nach der Herstellung im Werk zurück gehalten werden - so lange eben bis die Auswertung der Kulturen auf den Nährflüssigkeiten abgeschlossen ist. Instrumente der neuen Generation integrieren dazu eine Messung durch UV-Licht. Sie nutzen also die fluoreszierende Eigenschaft von lebenden Stoffen. Zu messende Partikel werden damit sowohl ganz klassisch mit Anzahl und Größe erfasst als auch mit ihrem Fluoreszenz-Signal. Diese innovativen Entwicklungen sind ein positiver Schritt in Richtung „Realtime- Measurement“. Allerdings weisen sie noch einige Schwächen auf. So sind die UV-Messungen noch recht langsam, so dass in der Regel lediglich ein Bruchteil der angesaugten Luft durch UV-Licht geprüft werden kann. Die normale Messunsicherheit mit eingerechnet, kann auf diese Weise oft noch kein repräsentatives Ergebnis entstehen. In hochsensiblen Bereichen wie der Pharmaindustrie oder der Medizintechnik wird man also zunächst weiterhin auf den Test durch das Anlegen von Kulturen und den damit verbundenen Zeitverlust nicht verzichten können - aber das ist natürlich das Ziel. In der Metrologie arbeiten wir schon heute an neuen Kalibrierungssystemen und anwendbaren Standards für diesen Bereich. 

Was war eigentlich der Anstoß für die Ausbildung der modernen Metrologie? Und was leistet sie heute?
Die Metrologie ist eigentlich eine sehr alte Wissenschaft, denn gemessen und gezählt wurde schon immer: ob die Breite des Ackers oder die Größe einer Schafsherde. Die dabei gezählten Maßeinheiten waren aber im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich. So diente etwa bis ins 18te Jahrhundert meist der Körper als Basis für Längenmaße wie Elle, Fuß oder Schritt. Das Problem bestand darin, dass diese Einheiten meist einer lebenden Person zugeordnet waren. So wurde tatsächlich in der Ellenlänge des amtierenden Pharaos oder gar im Bauchumfang des jeweiligen Regenten gemessen. Allein in Frankreich gab es im 18ten Jahrhundert rund 250.000 verschiedene Maßeinheiten. Mit der Aufklärung der Renaissance erwachte langsam der Wunsch nach einer Vereinheitlichung der Maße - und zwar gleichermaßen in der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft. Denn für den Waren- und Wissensaustausch über Parzellen- und Ländergrenzen hinaus benötigt man einheitliche Standards. Unser heutiges einheitliches Längenmaß musste dennoch noch bis zur Französischen Revolution warten, wo es  seinen Ursprung hat. Als Basis für das „Urmeter“ von 1799 wurde unter großen Strapazen eine neutrale und für alle Menschen gleiche Bezugseinheit gesucht und gefunden: unsere Erdkugel. Das Meter sollte der 10-millionste Teil des Erdquadranten auf dem Meridian durch Paris betragen. Heute kennen wir sowohl den kleinen Messfehler, der den Forschern damals unterlaufen ist, als auch die Tatsache, dass unser Globus nicht dem Ideal einer Kugel entspricht. Was aber zählt, ist die Idee: ein einheitliches, verlässliches und anerkanntes Maß, auf dessen Basis wir grenzüberschreitend kommunizieren können. Diesen Anspruch verfolgen wir bis heute. Denn das ist die Grundvoraussetzung für unseren Fortschritt, der ohne Normen und Standards - d.h. ohne industrie- und länderübergreifende Vergleichbarkeit und Qualitätssicherung - nicht möglich wäre.

Der Vortrag „Rückführbarkeit von Partikelgröße und -anzahl-konzentration“ von Dr. Kai Dirscherl ist am 22. Oktober 2013 auf dem Cleanzone Kongress in Frankfurt am Main zu hören.


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