- Einrichtung & Ausstattung
Köpergerechtes Bewegen will gelernt sein
Ein Interview mit Malte Lenkeit, Ergonomie-Berater der
Dauphin HumanDesign Group GmbH & Co. KG, Offenhausen
Ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld vermeidet Berufskrankheiten. Dieser Prämisse folgen nicht nur Sicherheitsbeauftragte und -ingenieure, sondern auch Ergonomie-Berater Malte Lenkeit. Ein Fokus seiner Arbeit liegt auf der Prävention und der damit verbundenen Sensibilisierung von Mitarbeitern zur Vermeidung von Fehlhaltungen am Arbeitsplatz. Damit widmet er sich einem Phänomen, das die Arbeitswelt in Deutschland beschäftigt: Obwohl inzwischen rund 17 Millionen Menschen, fast 20 Prozent aller Deutschen, sitzend im Büro arbeiten, haben sich die berufsbedingten Beschwerden, die früher mehr von körperlicher Arbeit geprägt waren, im Vergleich nicht we-sentlich verändert. Sporadische oder chronische Rückenschmerzen und Verspannungen kennen heute viele Büroarbeiter. Das Verhalten der Menschen am Arbeitsplatz auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse aufzuzeigen und zu verändern und sie damit zu einer körpergerechten Haltung und einem körpergerechten Bewegen zu animieren, ist das Ziel, das Malte Lenkeit täglich in Deutschland und im Ausland anstrebt. Im Interview erläutert er, was seiner Erfahrung nach im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements sinnvoll ist, um im Büro ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld zu ermögli-chen.
Sie sind täglich in den so genannten Büroarbeitswelten unterwegs. Was sind Ihre Erkenntnisse?
Die Arbeitswelten unterscheiden sich erheblich. Aktuelle Themen, die ich in Deutschland und im Ausland bei Beratungen fokussiere, beziehen sich auf den richtigen Umgang mit der Büroeinrichtung. Im Zentrum steht dabei die körpergerechte Haltung. Mitarbeiter am Büroarbeitsplatz neigen sehr stark zu einer passiven Sitzhaltung, was nicht verwundert, denn je konzentrierter gearbeitet wird, umso weniger achten Sie auf ihr Verhalten beziehungsweise ihre Körperhaltung. Wenn Muskeln dann noch dauerhaft und einseitig angespannt sind oder die Wirbelsäule biomechanisch überstrapaziert wird – also eine statische Sitzhaltung vorhanden ist – ist das bereits gesundheitsschädigend. Mein Ziel ist es, Tipps und Tricks für das körpergerechte Sitzen und Bewegen am Büroarbeitsplatz zu vermitteln. Hier herrscht auch bei gut ausgestatteten Büros ein erheblicher Beratungsbedarf.
Wie nutzen Sie als Ergonomieexperte, der eng mit Arbeitssicherheitsexperten und Arbeitsmedizinern zusammenarbeitet, wissenschaftliche Erkenntnisse bei Ihrer Arbeit in Unternehmen?
Die Ergonomie-Beratung hat das Ziel, ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. In den Beratungen vermittle ich, basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Folgen der Belastungen bei nicht körpergerechten Sitzhaltungen. Nehmen wir ein Beispiel aus der aktuellen Sitzforschung. Sie befasst sich mit der biomechanischen Belastung der Wirbelsäule des sitzenden Menschen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Belastung der Wirbelsäule rapide ansteigt, je mehr die Wirbelsäule sich im Sitzen verformt, also von ihrer normalen Doppel-S-Form abweicht. Die Hochschulärztliche Einrichtung der Rheinland-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen hat im letzten Jahrzehnt verschiedene Studien zum dynamischen Sitzen im Büro erstellt. In der aktuellsten Studie mit anatomischen Wirbelmodellen und digitalen Winkelmessungen an Probanden sowie videogestützten Aufzeichnungen konnte nachgewiesen werden, dass die Beckenkippung beim Sitzen eine wesentliche Bedeutung hat. Sie ist das Maß für die Belastung beziehungsweise Entlastung der Wirbelsäule. Der stehende Mensch hat einen Beckenneigungswinkel von durchschnittlich 35°. Dabei ist die Wirbelsäule in ihrer Idealform und entlastet. Das war der Ausgangswert, den die Wissenschaftler aus Aachen für ihre Studie zu Grunde gelegt hatten. Zahlreiche Messungen belegen, dass bei horizontaler Sitzfläche die Beckenrückdrehung mit rund 22,0° am größten ist, das heißt die Wirbelsäule ist stark belastet. Selbst bei einer nach vorne geneigten Sitzfläche von minus 4° beobachteten die Forscher noch eine starke Beckenrückdrehung. Erst ab einem Sitzneigungswinkel von minus 8° kommt es nach den Ergebnissen der Forscher zu einer positiven Wirkung auf die Beckenposition im Sitzen, im Sinne einer körpergerechten Aufrichtung der Wirbelsäule. Dr. Andreas Schön, von der RWTH, fasst die Ergebnisse so zusammen: „Sitze stets so wie du gehst und stehst". All diese Erkenntnisse und auch das Wissen aus früheren Studien lasse ich in die Ergonomie-Beratung einfließen. Allerdings ohne die vielen, zwar wichtigen, in der Summe aber dann doch verwirrenden Zahlen immer wieder runter zu beten.
Wie sensibilisieren Sie die Menschen dazu, ihr Verhalten zu prüfen?
Körpergerechtes Bewegen will gelernt sein. Menschen müssen erleben, was die Wissenschaft in langen Forschungsreihen und theoretisch fundiert ermittelt. Damit meine ich nicht, dass sie die Schmerzen spüren müssen, die Fehlhaltungen am Büro-Arbeitsplatz bewirken. Denn dann ist es ja in der Regel zu spät. Ich setze in der Prävention an. Das verdeutlicht, wie vorbeugendes Handeln hilft, dauerhaft gesund und fit zu bleiben. Mein Ansprechpartner ist das betriebliche Gesundheitsmanagement. Zusammen mit Sicherheitsbeauftragten und Sicherheitsingenieuren integrieren wir Vorführungen, Präsenzveranstaltungen und Arbeitsplatzbegehungen in die existierenden betrieblichen Maßnahmen. Einen großen Erfolg haben wir mit den wissenschaftlichen Messverfahren aus unserem ErgoLab. Mit diesem lassen sich in anschaulicher Weise ergonomische Erkenntnisse, wie die der RWTH, vermitteln. So nutzen wir die ErgoMouse zum Beispiel auf betrieblichen Gesundheitstagen, um die Wirkung der richtigen Sitzneigung und -haltung aufzuzeigen. Dazu werden drei Messungen durchgeführt: In der ersten Messung wird die Wirbelsäule des stehenden Menschen vom Kopf über den gesamten Rücken dokumentiert. Die spezifische Doppel-S-Form der Wirbelsäule des Probanden wird auf einem Monitor sichtbar. In einer zweiten Messung wird die Wirbelsäule in der für den Probanden üblichen Sitzposition am Arbeitsplatz dargestellt. Abschließend erfolgt eine Messung auf einem Bürostuhl mit Synchro-Activ-Balance, also mit einer nach vorne geneigten Sitzfläche von bis zu minus 12° mit synchronisierter Rückenlehnen-Unterstützung. Beim Vergleich der Messergebnisse sieht der Teilnehmer, dass die zuletzt gemessene Sitzposition der natürlichen Wirbelsäulenkrümmung im Stehen sehr nahe kommt. So wird ihm verdeutlicht, dass eine nach vorne geneigte Sitzfläche der Prämisse "sitze stets so wie du gehst und stehst" sehr nahe kommt. Das hat Wirkung. Die Messergebnisse werden in einen Ergopass ausgedruckt, den der Teilnehmer erhält. Die ErgoMouse ist sehr gefragt.
Ein weiteres Ergolab-Modul ist das Elektromyogramm (Mini-EMG). Damit haben Sicherheitsbeauftragte und -ingenieure die Möglichkeit arbeitsbedingte Muskelbelastungen in der täglichen Arbeit aufzuzeigen. Das Mini-EMG zeigt bei Bildschirmarbeitsplätzen Muskelaktivitäten im Bereich der Hals-, Nacken- und Schultermuskulatur sowie im Unterarm auf. Die „Smily-Anzeige“ mit Ampelfunktion – also Grün, Gelb, Rot – zeigt in Echtzeit einseitige Muskelbeanspruchungen an. So ist auch eine direkte Haltungskorrektur möglich.
Der Lernstuhl eyeSeat ist sozusagen ein weiteres Mitglied der ErgoLab-Familie. Er dient der langfristigen Beobachtung des Sitzverhaltens. Drucksensoren in Sitz und Rückenlehne dokumentieren Sitzgewohnheiten, weisen den Nutzer darauf hin, wenn er die Sitzfläche nicht richtig ausnutzt oder dauerhaft auf der Vorderkante sitzt oder eine statische Sitzhaltung einnimmt. Des Weiteren hat eyeSeat eine Statistikfunktion, die das Sitzverhalten des Benutzers dokumentiert. Daraus lassen sich Maßnahmen für eine optimierte Arbeitsplatzgestaltung ableiten.
Wir arbeiten derzeit daran, ein weiteres Messverfahren in das ErgoLab zu integrieren. Mit diesem Verfahren werden wir die gesamte Körperhaltung am Arbeitsplatz visualisieren.
Wo müssen wir als "Büroarbeiter" anfangen, unsere Sitzposition zu optimieren?
So banal es klingt: Sie müssen die Bedienungsanleitung nehmen und sich mit den Funktionen Ihres Stuhls vertraut machen. Deshalb gehört es auch zu den Aufgaben von Sicherheitsbeauftragten und -ingenieuren zu gewährleisten, dass alle Mitarbeiter diese kennen, verstehen und anwenden. Sehr gute Erfahrungen haben wir damit gemacht, an Bildschirmarbeitsplätzen Bedienungsanleitungen online zur Verfügung zu stellen. Dann kann sie nicht verlegt werden. Darüber hinaus sollte man wissen, wo wichtige Hinweise zum richtigen Sitzen zu finden sind. Im Internet stehen leicht nachvollziehbar Tipps. So bietet der 60-Sekunden-Check auf der Homepage von Dauphin oder bei www.Menschen-und-Arbeit.de eine schnelle Möglichkeit, sein eigenes Sitzverhalten zu analysieren und – falls nötig – zu verbessern.
Herr Lenkeit, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Bild: Besser ist das Sitzen mit Unterstützung der Armlehnen oder der Tischoberfläche, denn dadurch wird das Verspannungsrisiko in der Hals-Nackenmuskulatur reduziert.
Quelle: Dauphin HumanDesign Group
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